Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition)
hin und wieder zu den Geschworenen, um sich zu vergewissern, dass sie zuhörten.
Nicht Aiden Foster wurde der Prozess gemacht, sondern Tash. Alles, was sie sagte, wurde verdreht und umgedeutet. Sie wurde wütend. Sie fluchte. Der Richter ermahnte sie. Der Anwalt lächelte die Geschworenen an.
Bevor das Elend zu Ende war, war Tash wie ein armes wehrloses Tier, und das Kreuzverhör hatte sich in eine Hetzjagd verwandelt. Und niemand hatte Mitleid mit ihr außer mir.
Die Leute haben getobt, als sie aus dem alten steinernen Gerichtsgebäude kam. Sie haben Beleidigungen gerufen und sie angespuckt, Aidens Freunde und Callums Freunde vereint gegen den gemeinsamen Feind. Sie gaben Tash die Schuld für alles, was passiert war. Izzy Cruikshank versuchte, ihr eine Ohrfeige zu geben, doch ein Wachmann stieß sie weg. Tash reagierte nicht. Stattdessen ging sie weiter, als wäre alles in bester Ordnung.
Am späten Abend desselben Tages klopfte sie an mein Fenster.
»Ich hau ab«, sagte sie.
»Wann?«
»So bald wie möglich.«
»Wohin?«
»Irgendwohin.«
Es heißt, wenn man jung ist, weint man Tränen des Schmerzes, und wenn man alt ist, Tränen der Freude. Deswegen will ich erwachsen werden.
27
Ruiz wartet in der Hotelhalle auf mich und hat einen Tisch und einen Sessel erobert, in dem sogar er klein aussieht. Er hat den Vormittag damit zugebracht, die Akten der ersten Ermittlung zu lesen und nach einem Muster oder nicht zueinanderpassenden Details Ausschau zu halten.
»Achttausend Befragungen, dreitausend Aussagen, mehr als eine Million Stunden Polizeiarbeit«, sagt er. »Ich könnte noch die nächsten zehn Jahre weiterlesen und das Offensichtliche übersehen.«
»Ist dir irgendwas ins Auge gesprungen?«, frage ich und nehme eine Aktenmappe.
»Das Schweigen«, sagt er. »Die Mädchen sind am Sonntagmorgen irgendwann nach 7.40 Uhr verschwunden, als Alice McBain zur Arbeit gegangen ist. Niemand hat sie auf dem Fußweg nach Bingham oder querfeldein gehen oder am Bahnhof warten sehen. Das kommt mir seltsam vor.«
»Jemand könnte sie mitgenommen haben, bevor sie weit gekommen sind.«
»Das bedeutet, dass es jemand gewesen sein muss, den sie kannten. Mädchen in diesem Alter steigen nicht in ein fremdes Auto.«
»Vielleicht wurden sie überwältigt.«
»Dann müsste es mehr als ein Entführer gewesen sein.«
»Das kommt eher selten vor.«
Ruiz hat Hunger. Wir suchen ein Café, das ganztägig Frühstück serviert.
Die Sonne ist hervorgekommen, Tauben streiten sich um Krümel auf dem Bürgersteig und schlagen in einem verzweifelten Tanz mit den Flügeln. Die Kellnerin hat einen verträumten Blick, eine Strähne hat sich aus ihrer Haarspange gelöst. Ruiz bestellt ein komplettes englisches Frühstück mit Pilzen, gebackener Tomate und Baked Beans.
»Auf Vollkorntoast«, fügt er hinzu. »Mein Arzt sagt, ich soll gesünder essen.«
Sie lächelt nicht. Ruiz poliert sein Messer und seine Gabel mit einer Papierserviette.
»Ich bin auf ein Detail gestoßen – Augie Shaw muss Natasha McBain gekannt haben.«
»Wieso?«
»Als die Heymans in das Bauernhaus gezogen sind, hat Augie dort schon den Rasen gemäht. Er hat für die McBains gearbeitet.«
»Was ist mit seinem Vater?«
»Ich kann keine Verbindung entdecken, aber Drury lässt bestimmt ein Dutzend Beamte danach suchen.«
»Ich glaube nach wie vor nicht, dass Augie Shaw die Mädchen entführt hat.«
»Vielleicht hast du recht. Vielleicht denkst du aber auch rosarot, weil deine neue Freundin seine Therapeutin ist.« Ein kleines Lächeln zupft an Ruiz’ Mundwinkeln. »Wie war deine Verabredung gestern Abend?«
»Das geht dich nichts an.«
»Das klingt vielversprechend.«
Grinsend tunkt er seinen Teebeutel in kochendes Wasser.
»Es wird dich freuen zu hören, dass ich auch noch flirten kann. Ich habe eine sehr nette, geschiedene Frau mittleren Alters in der Gerichtsverwaltung becirct.«
»Aus welchem Grund?«
»Ich durfte einen Blick in die Mitschrift von Aiden Fosters Prozess werfen. Die Geschworenen haben ihn der vorsätzlichen schweren Körperverletzung für schuldig befunden und zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt, die frühestens nach vier Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden können.«
»Wo ist er jetzt?«
»In der staatlichen Strafvollzugsanstalt Bullingdon.«
»Und Callum Loach?«
»Er lebt noch in der Gegend.«
Ruiz greift in seine Jackentasche.
»Ich habe die Gelegenheit genutzt, in der Bibliothek die Berichterstattung des
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