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Sag Mami Good bye - Fielding, J: Sag Mami Good bye - Kiss Mommy Good Bye

Titel: Sag Mami Good bye - Fielding, J: Sag Mami Good bye - Kiss Mommy Good Bye Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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erstarrt saß ihr Vater auf dem Bettrand, zusammengekrümmt, ohne jede Bewegung, fast wie eine Skulptur, helles Pappmache statt Fleisch. Seine Gefühle waren von einer solchen Intensität, daß sie gleichsam umschlugen in ihr völliges Gegenteil – in eine Art absolute Leere.
    Donna schloß die Augen. Gerade trat Victor ins Zimmer, sie wollte ihn nicht sehen.
    Ihr Blick löste sich von ihrem Vater, der am Fußende des Krankenhausbettes saß, und glitt zum Leichnam ihrer Mutter. Komisch, dachte sie, wie schnell das geht: wie sozusagen im Handumdrehen aus einem Menschen eine »Leiche« wird. Aber diese Bezeichnung traf es wohl am genauesten. Das war ihre Mutter nicht. Nein, ganz gewiß war dies nicht ihre Mutter. Das Gesicht wirkte so mager, der Körper unter dem weißen Tuch schien kaum mehr zu sein als ein Skelett. Schroff zeichneten sich
die Umrisse der Hüftknochen, des Beckens, der Beine ab. Ihre Augen waren geschlossen, der Mund geöffnet. Irgend jemand hatte ihr in aller Eile ihre Perücke aufgesetzt, nur schien die jetzt viel zu groß und saß überdies ein wenig schief. Donna ging an ihrem Vater vorüber und blieb nahe dem Gesicht ihrer Mutter stehen. Sie blickte darauf nieder, ohne nach irgend etwas Besonderem zu suchen. Es gab ja auch nichts. Absolut nichts außer unabänderlichen Tatsachen.
    Sie beugte sich vor und küßte ihre Mutter auf die Stirn. Was sie spürte, war etwas, das nicht mehr warm zu sein schien, aber auch noch nicht ganz kalt. Doch das eigentlich Erstaunliche, das Unfaßbare, war dies: daß da nicht der kleinste Hauch von Atem ging. Kein Hauch von Leben. Was einmal ihre Mutter gewesen war, die Wirklichkeit ihrer Mutter, das Wesen, das gab es nicht mehr.
    Und plötzlich wurde ihr bewußt, daß es natürlich nicht ihre Mutter war, die sie jetzt küßte; nein, es war die Erinnerung an ihre Mutter – eine Erinnerung, die in vielerlei Abwandlung vor ihr aufzutauchen schien: Sie sah den Rücken ihrer Mutter, während diese eine Treppe emporstieg; sie sah ihre Mutter, wie diese Hühner-Pastete zubereitete und dabei das Hühnchen glatt vergaß; sie hörte das Gelächter, in das sie und ihre Mutter ausbrachen, als Donna, gerade erst acht Jahre alt, von der Schule nach Hause kam und ihren ersten nicht ganz stubenreinen Witz erzählte. Und da waren unzählige andere Erinnerungen: an den Zorn ihrer Mutter, der so geradezu, so aufrichtig war; an ihre Arme, an ihre Augen, an ihren Geruch, so sanft, irgendwie beschwichtigend. Wenn sie einen in den Armen hielt und man ihre Umarmung fühlte, wenn man umfangen wurde auch von ihrem Geruch, dann wußte man sich geborgen, wußte sich in Sicherheit – aber jetzt? Ihr kleines Mädchen bist du nicht mehr; wessen kleines Mädchen bist du denn noch?
    Donna versuchte, sich zu bewegen.

    Sie konnte es nicht.
    Der Geruch.
    Ein anderer Geruch.
    Sie öffnete die Augen.
    Er lag auf ihr, und er war ein Fremder. Sie öffnete den Mund, wollte etwas sagen; sofort preßte er seine Hand auf ihre Lippen. »Sag jetzt kein Wort, Donna.« Er versuchte, sich zwischen ihre Schenkel zu zwängen. Voll spürte sie das Gewicht seines Körpers. Sie konnte sich nicht bewegen. Sie konnte kaum atmen. »Mach deine Beine auf, verdammt!« schrie er, aber es war eine Art tonloses Schreien, das die Flüsterschwelle nie überstieg.
    Sie versuchte, sich ihm zu entwinden; doch fand sie ihre Arme gefesselt, zu ihren Seiten. Mit wütenden Fingern betastete, betatschte er sie, während sie ihn aus aufgerissenen Augen angstvoll anstarrte. Noch nie hatte sie sich vor irgend jemand oder irgend etwas so sehr gefürchtet.
    Lieber Gott, bitte, laß mich sterben, flehte sie, als Victor sich in die richtige Position brachte, um in sie einzudringen. Es tat ihr weh; es verursachte ihr schlimme Schmerzen. Denn sie war völlig trocken; nichts in ihr reagierte auf ihn als Mann; und während er in ihr war und rhythmisch stieß und stieß, dachte sie an den Sohn, den sie beide gemeinsam gezeugt hatten – bei dem gleichen Akt. Nein, nicht bei einem solchen Akt. Es gab da keinerlei Parallelen.
    Als er fertig war, löste er sich von ihr, murmelte irgend etwas, doch keine Entschuldigung, und ging ins Badezimmer. Sie blieb liegen, bewegungslos, mit geschlossenen Augen, mit geöffnetem Mund, mit zerzaustem Haar. Es gab da nur wenige Dinge, deren sie sich sicher war, die sie wußte; aber hierbei war sie ohne jeden Zweifel. In ihrem Kopf formte sich eine Art Liste, große, schwarze Lettern über einer weißen Leiche.
    1.

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