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Sag mir, wo die Mädchen sind

Sag mir, wo die Mädchen sind

Titel: Sag mir, wo die Mädchen sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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gesehen?»
    «Gib mal her.»
    Ruuskanens Schnurrbart wirkte buschiger, als ich ihn kannte, offenbar war das Foto einige Jahre älter und stammte aus irgendeinem Jahrbuch der Polizei. Die Artikel selbst waren in beiden Zeitungen recht kurz. Man hatte ihn gefragt, warum die Polizei die Medien nicht über die Vergewaltigung informiert hatte, die am Freitag in Espoo geschehen war. Er hatte erwidert, das sei nicht nötig gewesen, da die tatverdächtige Person bereits festgenommen worden sei und die Mithilfe der Bevölkerung nicht gebraucht werde. Ein Reporter hatte nachgefragt, ob es sich bei der Person um einen Mann handle. Ruuskanen hatte es bestätigt und hinzugefügt, man habe den Fall nicht publik gemacht, um die Privatsphäre des Opfers zu schützen. Daraufhin war er gefragt worden, ob es zutreffe, dass der Verhaftete eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung besitze und Moslem sei. Er hatte die Frage bejaht, weitere Kommentare jedoch abgelehnt. Das eine der Boulevardblätter fragte in seiner Schlagzeile: «Vertuscht die Polizei Straftaten von Migranten und Asylbewerbern?» Das andere verkündete: «Vergewaltigung in Espoo – schon die zweite Frau in diesem Monat Opfer eines Migranten.»
    «So schlimm ist es gar nicht. Wahrscheinlich hatten die nur Nachrichtenflaute.»
    Koivu, der gerade mit einem Papierstapel hereinkam, hatte meine Worte gehört. «Ja, aber Ruuskanen ist stinksauer, weil man ihm vorwirft, er würde die Migranten verhätscheln beziehungsweise den Kanaken in den Arsch kriechen. Wir anderen sind natürlich auch nicht besser. Wahrscheinlich bin vor allem ich befangen, wenn es um Straftaten von Migranten geht, weil ich mit einer Vietnamchinesin verheiratet bin, die als Zweijährige nach Finnland eingewandert ist. Maria, du hast sicher die Einladung zur Besprechung um neun bekommen. Samirs Familie beschäftigt uns jetzt gleich doppelt, denn von der bosnischen Polizei ist gestern ein Fax mit dem genauen Wortlaut von Saras Befragung gekommen.»
    «Ein Fax? Wieso schicken die keine E-Mails?»
    «Vielleicht haben sie Angst, die würden von der Sicherheitspolizei abgefangen», witzelte Puupponen. «Steht was Interessantes drin?»
    «Mal langsam, ich muss das erst lesen.» Koivu füllte seinen nicht ganz sauberen Henkelbecher mit Kaffee, gab zwei Stück Zucker dazu und suchte in der Jackentasche nach seiner Brille. Ich blätterte die Zeitungen durch und stellte fest, dass ich nicht einmal die Hälfte der Leute kannte, über die in den Klatschspalten berichtet wurde. Zum Glück hatten die Reporter freundlicherweise jeden der Vornamen mit einem Hinweis versehen: BB , Deal, Bauer sucht Frau. Ich stellte fest, dass mein Wissensstand in Sachen Reality-Shows unzureichend war.
    Koivu las mit voller Konzentration das Fax. Die Lesebrille verrutschte, er rückte sie zurecht. Sein Trauring schien ihm zu eng geworden zu sein, die graue Cordjacke war an den Ellbogen abgewetzt. Von allen Männern auf der Welt war mir Koivu gleich nach Antti der liebste, er war der Bruder, den ich mir vergeblich gewünscht hatte. Ich sah, wie sich seine Augenbrauen hoben, dann legte er los:
    «Du meine Güte! Jetzt ist wohl klar, warum Sara in Bosnien so glücklich ist. Ihr Bruder hat sie offenbar in den letzten Jahren sexuell bedrängt und gelegentlich auch misshandelt. Ihre Eltern waren der Meinung, es sei besser, sie nach Bosnien zurückzuschicken, damit ihrem Bruder die Aufenthaltsgenehmigung nicht entzogen wird. Samir bekommt offenbar jedes Mal eine Panikattacke – so steht es hier in der englischen Übersetzung –, wenn er glaubt, er müsse ausreisen.»
    Ich erinnerte mich an Samirs Worte von den falschen Jungen, mit denen Sara Umgang hatte. Hatte er sich diese Erklärung selbst ausgedacht, oder hatte man sie ihm eingeflüstert? Es war Sache der Gerichtspsychiater zu entscheiden, wie schwer Samirs Geisteskrankheit war. Mir würde vermutlich die Aufgabe zufallen, seine Eltern zu befragen; auch das würde zur Klärung seiner Zurechnungsfähigkeit beitragen.
    Genau dies schlug Ruuskanen bei der Besprechung dann auch vor. Da es zwischen Samir Amir und den Mitarbeiterinnen des Mädchenclubs sowie zwischen den vermissten jungen Frauen Verbindungen gab, sollte unsere Zelle die Ermittlungen im Vergewaltigungsfall übernehmen. Ruuskanen meinte, sein Dezernat habe Besseres zu tun, als einen klaren Fall so weit zu bearbeiten, dass er an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet werden konnte.
    «Aber für die Medien bin ich allein zuständig.

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