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Sag mir, wo die Mädchen sind

Sag mir, wo die Mädchen sind

Titel: Sag mir, wo die Mädchen sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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Ist das klar, Kallio?»
    «Kristallklar.»
    Im Anschluss an die Besprechung erkundigte ich mich in der Klinik nach Samir Amirs Befinden. Die Krankenschwester, mit der ich telefonierte, versprach mir, die behandelnde Ärztin werde sich nach der Visite bei mir melden. Koivu erreichte Samir Amirs Eltern, die sich große Sorgen machten, weil sie nichts von ihrem Sohn gehört hatten. Da Samir volljährig war, bestand keine Verpflichtung, die Angehörigen über seine Einweisung ins Krankenhaus zu informieren, doch ich hatte eigentlich schon erwartet, dass die Klinik sich mit den Eltern eines psychisch kranken Patienten in Verbindung setzen würde. An Koivus schweren Seufzern erkannte ich, wie mühsam das Telefonat mit den Eltern war.
    «Ich melde mich wieder. Samir ist nicht in Gefahr. Sie brauchen nicht in die Klinik zu fahren. Wir kommen mit einem Dolmetscher zu Ihnen.» Koivu sprach mit ruhiger Stimme, langsam und deutlich, doch sein Gesicht lief dabei rot an.
    «Hat der Mann, ich meine Samirs Vater, auch nur die Hälfte von dem verstanden, was ich gesagt habe? Er scheint zu glauben, dass Samir einen Unfall hatte. Wir brauchen einen Dolmetscher, denn die Mutter spricht offenbar kaum Finnisch, obwohl sie schon seit einer Ewigkeit hier wohnt. Angeblich kann sie Englisch, aber es ist mir zu heikel, eine Befragung in einer Sprache zu führen, die beiden fremd ist. Wo haben wir die Liste der Behördendolmetscher?»
    Heini Korhonen stand auf der Liste, aber Koivu überging sie natürlich. Ich hingegen versuchte erneut, sie zu erreichen, allerdings aus anderem Grund. Diesmal meldete sie sich.
    «Korhonen.»
    «Maria Kallio von der Espooer Polizei. Wie geht es dir?»
    Heini schwieg zunächst lange. Ihr Atem röchelte leise, doch ich hatte nicht den Eindruck, dass sie weinte.
    «Nelli hat gestern angerufen», sagte sie schließlich. «Sie behauptet, ich hätte irgendwelchen Quatsch an die Mailingliste des Clubs geschickt. Das war ich nicht.»
    «Du hast dich also in keinem Chatforum über die Vergewaltigung geäußert?»
    «Warum sollte ich das tun? Es ist so schon schwer genug. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich einmal so schrecklich fühlen würde. Niemals.»
    «Wo bist du jetzt?»
    «Bei meinem Bruder Kimmo in Lippajärvi.»
    «Allein?»
    «Meine Schwägerin ist mit den Kindern zu Hause. Väinö ist drei Jahre und Aino sechs Monate alt. Was hat Samir gesagt? Warum hat er es getan?»
    «Wir konnten ihn noch nicht vernehmen.»
    «Aber er ist doch hinter Schloss und Riegel?»
    Heinis Stimme klang schrill. Im Hintergrund sang ein Kind «Hopp hopp hopp, Pferdchen lauf Galopp», und unter die Töne mischte sich das Lallen eines Babys.
    «Ja», antwortete ich, denn unter Aufsicht stand Samir auf jeden Fall. «Hast du dich an eine Selbsthilfegruppe gewandt?»
    «Nelli war gestern hier. Aber helfen kann mir sowieso niemand.»
    Ich machte mir Sorgen um Heini. Ihre Reaktion war vollkommen normal, doch man durfte sie in dieser Situation nicht allein lassen. Ich erkundigte mich noch, wie die Mailingliste geschützt war, und erfuhr, dass nur Nelli und Heini gegenseitig ihre Passworte kannten und Postings entfernen konnten. Heini sagte, sie habe keine Ahnung, wer sich ihr Passwort hätte verschaffen können. Ich musste an ihren Bruder Kimmo denken, der sehr aufgebracht gewesen war und ihr womöglich Einzelheiten über den Verlauf der Vergewaltigung entlockt hatte. Auf meine Frage, wo sie ihre Passworte aufbewahrte, entgegnete Heini, die wisse sie auswendig.
    «Es handelt sich doch nicht etwa um deinen Geburstag oder deine Telefonnummer?»
    «Natürlich nicht! Das sind ganz willkürliche Kombinationen.»
    Internetkriminalität und Identitätsdiebstahl fielen nicht in unseren Arbeitsbereich, ich würde die Angelegenheit weiterleiten müssen. Dabei fragte ich mich immer noch, ob Heini die Wahrheit sagte. Vielleicht hatte sie die Nachricht unter Schock verfasst und erinnerte sich nicht mehr daran? Die Ärztin hatte sie eine Woche krankgeschrieben, aber Heini sagte, sie werde am Nachmittag in den Mädchenclub gehen.
    «Ich will nicht, dass der Scheißkerl mich kleinkriegt. Ich habe mir vorgenommen, ihm zum Trotz weiterzuleben wie bisher.»
    Es schien mir zu grausam, sie zu fragen, ob Sara ihr früher einmal erzählt hatte, dass sie von ihrem Bruder Samir belästigt worden war, daher verabschiedete ich mich mit dem Hinweis, ich würde im Mädchenclub vorbeischauen, falls mir nichts dazwischenkäme.
    Koivu berichtete, das Kind der bosnischen

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