Sag mir, wo die Mädchen sind
rassistisch denken. Mit Vorurteilen kommt man in unserem Job nicht weit, und diese Leute können nicht so viel anders sein als wir. Für die ist Religion bloß ein Vorwand, genau wie für Christen, die sich über Frauen als Pastorinnen aufregen. Lach nicht, Maria, ich hab sogar den Koran gelesen, ich will das alles wirklich verstehen. Schreibst du mir bei Gelegenheit eine Empfehlung für einen Sprachkurs, Arabisch zum Beispiel?»
«Natürlich. Mit Schwedisch als einziger Fremdsprache kommt man in unserem Polizeidistrikt längst nicht mehr aus.»
«Schwedisch können Koivu und ich auch nicht richtig», seufzte Puupponen. Im selben Moment piepte mein Diensthandy. Tuomas war da.
Als ich die Eingangshalle betrat, stand er am Empfangsschalter und hängte sich den Besucherausweis um den Hals. Er trug einen knielangen schwarzen Wintermantel, der ihm zu groß war, und schwarze, schlammverkrustete Halbschuhe. Als er mich sah, wurde er knallrot, bemühte sich aber, meinen Blick zu erwidern. Unter seinen Augen lagen dunkle Schatten, und er versuchte gar nicht erst zu lächeln. Außer der Grußfloskel sagte er kein Wort. Auch als wir in meinem Dienstzimmer saßen, schwieg er minutenlang und starrte auf seine Schuhspitzen. Den Mantel hatte er aufgeknöpft, aber nicht abgelegt.
«Was wolltest du mir denn nun erzählen?», fragte ich schließlich. «Am Telefon hast du behauptet, der Mord an Noor wäre irgendwie geplant gewesen … Von wem?»
«Na von unserer … Die Gruppe hat keinen Namen. Das heißt, Kimmo hat sie ‹Operation Augenöffner› getauft, aber er ist der Einzige, der sie so nennt.»
«Kimmo? Was für ein Kimmo?»
«Korhonen. Heinis Bruder. Ach was, am besten guckst du dir einfach das Video an …» Tuomas zog einen USB -Stick aus der Brusttasche seines Mantels. «Das kannst du sicher auf deinem Rechner laufen lassen.»
Ich nahm ihm den Stick aus der Hand, die zitterte wie die eines alten Säufers. Nach einigen Mausclicks gelang es mir, das Video zu starten. Es hatte keinen Vorspann. Das Bild wackelte ein wenig, dann erkannte ich ein stinknormales Wohnzimmer, in dem sich eine Schar zwanzig- bis dreißigjährige Männer versammelt hatte. Am unteren Bildrand erschien das Datum, Ende September des Vorjahres.
«Was sind das für Leute?»
«Hauptsächlich Kumpels von Kimmo Korhonen. Viele von denen spielen Paintball zusammen, da war ich ein paarmal dabei. Warum ich zu der Versammlung gegangen bin, weiß ich gar nicht mehr. Wahrscheinlich hatte ich an dem Abend sonst nichts zu tun. Die Videokamera hatte ich dabei, weil ich für den Sozialkundekurs ein Referat über Gruppendynamik machen musste. Eigentlich hätte ich das alles gar nicht filmen dürfen. Ich hab die Kamera einfach mittendrin eingeschaltet. Aber jetzt hör dir mal an, was die sagen.»
«In Kivenlahti haben die Somalis schon wieder gegen Finnen gekämpft», verkündete einer der Männer. «Sie haben zwei Teenager angegriffen, ohne jeden Grund. Die Polizei tut nichts, und die Gesellschaft zahlt den Schweinen auch noch Rechtshelfer, sodass sie nicht mal bestraft werden. Ich hab langsam die Schnauze voll.»
«Meine Schwester traut sich abends nicht mehr alleine auf die Straße, und das mitten in Espoo. Wenn sie um zehn Feierabend hat, muss sie den Bus nehmen und dreimal umsteigen, um den muslimischen Frauenschändern aus dem Weg zu gehen», erklärte ein junger Mann, auf dessen T-Shirt der finnische Löwe prangte. «Sollten wir nicht die Zügel in die Hand nehmen, wenn sonst keiner gegen die einschreitet?»
Die Männer brüllten zustimmend. Das Bild wackelte, und die Tonqualität war streckenweise dürftig, doch die Aufzeichnung vermittelte die Wut der Männer deutlich. Sie erinnerten mich an die Taliban-Krieger, die ich in Afghanistan gesehen hatte; ihr Hass war ebenso explosiv. Plötzlich übertönte der helle Mezzosopran einer Frau die Männerstimmen.
«He, Leute, wartet mal! Ihr sagt, man muss den Betroffenheitstussis und Toleranzidioten klarmachen, dass die Migranten unsere Gesellschaft bedrohen. Das ist absolut richtig. Nur wenn wir die Gutmenschen dazu bringen, die Wahrheit zu erkennen, können wir verhindern, dass der Islam und die Scharia unser Land überrollen. Aber das erreicht ihr nicht, indem ihr euch mit Migranten prügelt. Dann betrachten unsere Fremdenfreunde die Mohammedaner erst recht als Opfer.»
«Jawoll, als Opfer, die man bemitleiden und durchfüttern muss, weil sie als Flüchtlinge traumatische Erlebnisse hatten und deswegen
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