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Sag mir, wo die Mädchen sind

Sag mir, wo die Mädchen sind

Titel: Sag mir, wo die Mädchen sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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der Nacht in meinem Kopf tobten, tauchte Ayans Gesicht auf. Auf unserem Grundstück trieb sich wahrscheinlich ein City-Fuchs herum, denn die Katzen waren unruhiger als sonst und weckten mich mehrmals. Am nächsten Morgen hatte ich einen schweren Kopf, aber der Sonnenschein und starker Kaffee halfen. Ich hatte mich gerade auf den Weg zur Arbeit gemacht, als mein Diensthandy klingelte.
    «Kallio.»
    «Tuomas hier, Tuomas Soivio. Ich halt das nicht mehr aus. Ich hab schon seit Tagen nicht mehr geschlafen.»
    «Guten Morgen. Nett, dass du anrufst, aber bei Schlafstörungen kann dir ein Arzt besser helfen als die Polizei.»
    «Nee! Kein Arzt und keine Tablette kann was daran ändern, dass ich an Noors Tod schuld bin.»
    «Du hast Noor nicht ermordet, das war Rahim Ezfahani.»
    «Aber das Ganze war geplant. Wir wollten ja, dass Rahim sie umbringt.»

[zur Inhaltsübersicht]
    19
    B ei Tuomas’ Worten wurde das Gefühl der Unwirklichkeit wieder wach, das ich am Vortag bei Aisha verspürt hatte. Was redete er da?
    «Wo bist du jetzt?»
    «Zu Hause. Seit Noors Tod hab ich es nicht mehr geschafft, zur Schule zu gehen. Das blöde Abitur ist mir egal.»
    «Und du hast der Polizei etwas Neues über Noor Ezfahanis Tod zu berichten?»
    «Ich kann nicht mehr! Ich muss mit jemandem reden, sonst platzt mir der Kopf.»
    «Dann komm her. Soll ich dich von einer Streife abholen lassen?», fragte ich.
    «Mutti ist in Stockholm und hat ihr Auto hiergelassen. Das kann ich nehmen.»
    «Frag am Eingang nach mir, dann komm ich runter.»
    Ich beschleunigte meine Schritte und versuchte, alle Puzzleteile an ihren Platz zu legen. Mir fiel ein, wie Tuomas in den Mädchenclub gestürzt war und sich Heini in die Arme geworfen hatte. Es hatte mich gewundert, dass sie sich so nahestanden, andererseits umarmten junge Leute heute auch flüchtige Bekannte. Heini hatte die Familien, die aufgrund ihrer Kultur und ihrer Religion die Handlungsfreiheit ihrer Töchter einschränkten, scharf kritisiert. Hatte sie Tuomas dazu angestachelt, sich an Noor heranzumachen, um deren Verwandte zu provozieren? Hatte sie auch da eine unterstützenswerte Rebellion gesehen, wo es gar keine gab, wie im Fall von Ayan und Miina? Hatte sie Samir zum Kaffee eingeladen, um ihm das Geständnis zu entlocken, dass er seine Schwester Sara belästigt hatte?
    Die letzten hundert Meter legte ich beinahe im Laufschritt zurück. Tuomas war noch nicht da. Im Ermittlungsraum traf ich Puupponen an.
    «Samir Amir ist immer noch in Psychose», sagte er zur Begrüßung. «Ich habe gerade mit seiner Mutter gesprochen. Sie sagt, der Krieg hat Samir verrückt gemacht, er ist für nichts verantwortlich.»
    «Was ist mit den Ezfahanis?»
    «Wir haben Noors Brüder vernommen. Sie machen sich hauptsächlich Sorgen darüber, ob ihnen die Aufenthaltsgenehmigung entzogen werden kann. Sie haben die finnische Staatsbürgerschaft beantragt. Die Mutter trauert um Noor, die am Donnerstag beerdigt worden ist, nachdem die Leiche freigegeben wurde.»
    An der Beerdigung hatte Tuomas Soivio nicht teilnehmen können, und die Familie hätte ihn wohl auch nicht willkommen geheißen. Ich hatte in Afghanistan gesehen, wie vier Männer eine Leiche auf den Schultern trugen. Ohne Sarg. Es waren viele Trauergäste dabei gewesen, hauptsächlich Männer. Die Teilnahme an Beerdigungen war bei den Muslims eine Tugend, sie zeugte von Achtung vor Allah und seinem Willen.
    «Wir machen heute mit Rahims Vater, Bruder und Großvater weiter. Willst du mitkommen? Ich finde, es geschähe ihnen ganz recht, wenn sie auch von einer Frau vernommen würden. Mir leuchtet diese Denkweise nicht ganz ein, dass jede Frau in jeder Situation und in jedem Outfit so begehrenswert ist, dass sie sich mit Kutten und Tüchern verhüllen muss. Manchmal habe ich den Eindruck, ich bin so abgestumpft von den Dessous-Reklamen und dem sonstigen nackten Fleisch, dass ich es gar nicht mehr sehe. Und dabei bin ich ein ganz normaler Mann, der Frauen mag», lamentierte Puupponen. Er holte eine rote Pampelmuse aus der Tasche, warf sie in die Luft und schlug sie wie beim Volleyball zu mir hinüber. Ich fing die Frucht auf und warf sie zurück.
    «Ich finde, diese Denkweise entwürdigt uns Männer noch mehr als die Frauen. Als trügen wir das Gehirn zwischen den Beinen und wären absolut unfähig, unsere Begierden zu kontrollieren. Allerdings trifft das auf Samir ja zu. Eine Frau lädt ihn zu sich ein, und prompt fällt er über sie her. Ich will aber nicht

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