Sag mir, wo die Mädchen sind
der Höhe des Blinddarms, doch bei dem vielen Blut konnte ich nicht erkennen, ob die Kugel ausgetreten war oder noch in seinem Körper steckte. Der Schal reichte nicht aus, um die Blutung zu stoppen, verlangsamte sie aber immerhin ein wenig. Vala jammerte leise.
Für den anderen Mann konnte ich nichts mehr tun. Nachdem ich Vala notdürftig verbunden hatte, suchte ich nach dem Puls des anderen, spürte aber nichts.
Die Stimmen im Treppenhaus wurden lauter.
«Platz da, Polizei!», hörte ich Koivu rufen. «Maria, bist du da drin? Mach auf!»
Ich stieg über den Unbekannten hinweg zur Tür. Koivu hatte seinen Mantel über den Schlafanzug gezogen, an den Füßen trug er Filzpantoffeln mit Gummisohlen. Er hielt die Verbandstasche aus seinem Auto in der Hand.
«Hier drin hat keiner was zu suchen!», rief er ins Treppenhaus. «Lasst die Haustür offen! Die Sanitäter müssen gleich hier sein.»
Ich nahm ihm die Verbandstasche ab. Aziza hatte Valas Waffe fallen lassen, stand in der Wohnzimmerecke und erbrach sich. Ich löste den Schal, unter dem das Blut herausquoll. Mühsam unterdrückte ich meinen Ekel und verband Valas Wunde, so gut ich konnte. Koivu versuchte vergeblich, den Mann in der Lederjacke wiederzubeleben. Sirenengeheul kam näher, gleich darauf zuckte vor dem Haus blaues Licht. Als die Sanitäter eintraten, zog ich mich in die Wohnzimmerecke zurück, die weder von Blut noch von Erbrochenem beschmutzt war, und legte den Kopf zwischen die Knie. Als ich ihn endlich wieder hob, sah ich, wie Vala hinausgetragen wurde. Mit dem Kopf zuerst.
Der Überbringer der Pässe gehörte tatsächlich einer Motorradgang an, dem Gunners MC . Riku «Ricky Bruch» Konttinen hatte einmal wegen versuchten Totschlags im Gefängnis gesessen und vier kürzere Haftstrafen wegen Drogenhandel verbüßt. Seit etwa einem Jahr war er auf freiem Fuß gewesen. Nach den Informationen der Zentralkripo unterhielten die Gunners Verbindungen zum internationalen Drogen- und Menschenhandel, und das Fälschen von Pässen war eines ihrer Spezialgebiete. Konttinen hatte einen an sich tödlichen Schuss auf Vala abgegeben. Vala hätte ihn nicht überlebt, wenn ich ihm nicht schon nach wenigen Minuten Erste Hilfe geleistet hätte. Ich hatte mich zu sehr in seine Phantasien hereinziehen lassen. Er war nach Finnland zurückgekehrt, weil man ihn zum Genesungsurlaub abkommandiert hatte. Im Herbst und Frühwinter war seine Einheit mehrmals nur um Haaresbreite dem Tod entgangen; die nervliche Belastung hatte seine Handlungsfähigkeit so geschwächt, dass er dienstunfähig war. Doch der Drogenbaron Omar Jussuf war zu einer fixen Idee von ihm geworden, und als er über Umwege erfuhr, dass Jussuf möglicherweise Kontakte in Finnland besaß, hatte er sich in den Kopf gesetzt, die entfernt mit dem Drogenbaron verwandte Familie ausfindig zu machen.
Nach dem Anschlag auf die Polizeischule war Issa Omar über Russland und Estland nach Schweden geflohen. Man hatte einen finnischen Pass auf den Namen Issa Jussuf Hasan für ihn fabriziert. Die Pässe hatten in Riku Konttinens Brusttasche gesteckt und waren durch die Kugel, die ihn getroffen hatte, fast völlig zerstört worden, doch Aziza erzählte uns bereits in der Nacht, als wir sie in unserem Ermittlungsraum befragten, alles, was sie wusste.
Sie war nach islamischem Ritus mit Issa, ihrem Vetter zweiten Grades, verheiratet worden, doch da sie minderjährig war, galt die Ehe nach dem schwedischen Gesetz nicht als rechtskräftig. Aziza und ihre Eltern waren zur Zusammenarbeit erpresst worden; man hatte ihnen gedroht, sie würden ihr Asylrecht verlieren und nach Afghanistan zurückgeschickt werden, wo sie auf der Abschussliste der Taliban standen. Nach Azizas Abreise waren die anderen Familienmitglieder untergetaucht. Der Sicherheitspolizei war natürlich bekannt, dass Omars Clan Kontakt zu Verwandten hatte, denen in Finnland eine Aufenthaltsgenehmigung bewilligt worden war, doch sie hatte ihr Wissen für sich behalten. Es war noch unklar, wie Vala an diese Information gekommen war; vermutlich hatte sich jemand verplappert, als er im Dezember eine Delegation der Sicherheitspolizei bei ihrem Besuch in Afghanistan betreut hatte.
Gegen zwei Uhr in jener Nacht war Aziza so bleich, dass wir sie in den Ruheraum brachten, wo sie sich hinlegen konnte. Auch Koivu fielen fast die Augen zu, während ich hellwach war. Ich wagte allerdings nicht, mich ans Steuer zu setzen, sondern teilte mir mit Koivu ein Taxi. Zu Hause zog
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