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Sag mir, wo die Mädchen sind

Sag mir, wo die Mädchen sind

Titel: Sag mir, wo die Mädchen sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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hätte dieses «ausländische Gesöff» nicht angerührt.
    «Vom jüngsten Jahrgang. Ich habe bei der Armee den Kurs für Militärpolizisten absolviert und mich dann hier beworben. Mein Bruder macht jetzt gerade den Militärdienst, danach will er auch zur Polizeischule. Mutter ist davon nicht gerade begeistert, aber das gilt sowieso für alles, was irgendwie mit Vater zu tun hat.»
    «Wie geht es deiner Mutter?»
    «Ganz gut. Sie wohnt mit Kai, ihrem jetzigen Mann, und meiner Halbschwester Hannina in Vantaanlaakso und leitet ein privates Seniorenheim. Kai arbeitet auch dort, und sie hätte mich gern als ihre Nachfolgerin gesehen. Aber die Polizeiarbeit interessiert mich mehr. Ich will zum Gewaltdezernat, wie Vater. Jani zieht es eher zum Streifendienst oder zur Verkehrspolizei.»
    Auch die Sprechweise hatte Jenna von ihrer Mutter geerbt, von Perttis typischem Tonfall war bei ihr nichts zu hören. Ich sah die Abschiedsbriefe vor mir, die ich in Perttis Wohnung gefunden hatte. Einer der beiden war an seine Kinder gerichtet gewesen. Darin hatte Pertti seine Polizeiausrüstung seinem Sohn Jani vermacht, während Jenna den Amethystring ihrer Großmutter bekommen sollte. Jenna merkte, dass ich ihren Ring betrachtete.
    «Offenbar kennst du den Ring?»
    «Ich weiß, von wem du ihn hast.»
    «Ich habe nicht viele Erinnerungen an meinen Vater, er war selten zu Hause. Meine Mutter will nicht über ihn reden, sie sagt nur, er sei ein unglücklicher Mensch gewesen. Aber war er ein schlechter Polizist? Du hast ihn doch gut gekannt, wenn ich Mutter richtig verstanden habe.»
    «Wir waren an der Polizeischule im selben Kurs, und Jahre später wurden wir Kollegen. Wir waren Konkurrenten um dieselbe Stelle. Ich habe deinem Vater das Leben sicher nicht leichter gemacht. Einer der Gründe für seinen Selbstmord war wohl die Tatsache, dass er den Kampf um den Posten des Dezernatsleiters gegen eine Frau verlor, die jünger war als er und ihre Stelle obendrein im Mutterschaftsurlaub antrat.»
    «Wirklich? Wer befördert denn eine Frau im Mutterschaftsurlaub?»
    «Heute niemand mehr. Damals herrschte Hochkonjunktur, es waren andere Zeiten. Außerdem war meine Beförderung ein Denkzettel an die Adresse deines Vaters. Er war durchaus kein schlechter Polizist, aber seine Kooperationsfähigkeit ließ zu wünschen übrig. Unsere idiotischen Chefs haben ihm die Mutterschaftsvertretung übertragen, sozusagen als Trostpreis. Wirklich verantwortungsvoll!» Ich erzählte Jenna das alles ganz offen, denn sie wirkte wie ein Mensch, vor dem man nichts zu beschönigen brauchte. Auch diese Eigenschaft hatte sie von ihrem Vater geerbt.
    «Mutter hat mir erzählt, dass mein Vater ein schweres Alkoholproblem hatte und dass er bei einer Vernehmung jemanden zusammengeschlagen hat. Sie hat wohl gehofft, dass ich wegen seiner Verfehlungen nicht in die Polizeischule aufgenommen würde.» Jenna lächelte schwach und rührte in ihrem Kaffee, von dem sie bisher noch nicht getrunken hatte.
    «Die Situation bei der Vernehmung damals war reine Provokation. Der Typ hatte es darauf angelegt, deinen Vater zu reizen.» Ich erinnerte mich an die Videoaufnahme der Vernehmung und an den triumphierenden Blick von Ari Väätäinen, als Pertti zuschlug. Genau darauf hatte Väätäinen gehofft. «Es ist wahr, dass er zu viel getrunken hat. Wir hätten eingreifen müssen, vor allem ich, denn zum Schluss war ich seine unmittelbare Vorgesetzte. Dein Vater hat mich einmal daran gehindert, in ein Eisloch zu springen, um eine Tatverdächtige, die sich ertränken wollte, zu retten. Ich war damals schwanger, und wenn dein Vater nicht so beherzt gehandelt hätte, gäbe es unsere Iida vielleicht gar nicht. Über deinen Vater gibt es mehr als nur eine Wahrheit, wie vermutlich über uns alle.»
    «Mutter behauptet, er wäre in dich verliebt gewesen.»
    Ich prustete los. Mein Lachen hallte so laut durch die Kantine, dass sich alle nach uns umdrehten. Jenna wurde rot und fixierte ihren Cappuccino. Ich kam ins Schwitzen, musste die Luft anhalten, um den Anfall zu unterdrücken. Das war die Höhe!
    «Entschuldige», flüsterte ich, als ich endlich wieder frei atmen konnte. «Wenn das stimmt, dann hatte dein Vater eine ziemlich merkwürdige Art, es zu zeigen. Deine Mutter bildet sich da etwas ein.»
    Nach dieser Begegnung hatte ich eine Zeitlang per E-Mail mit Jenna Ström in Verbindung gestanden. In ihrer letzten Mail hatte sie darüber geklagt, keinen Praktikumsplatz zu finden, aber nun hatte

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