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Sag mir, wo die Mädchen sind

Sag mir, wo die Mädchen sind

Titel: Sag mir, wo die Mädchen sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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hier.» Ruuskanen stand auf, er hatte es offenbar eilig. Da er die Tür nicht hinter sich schloss, sah ich, dass er auf der nächsten Toilette verschwand. Es gab davon im Präsidium immer noch mehr für Männer als für Frauen, denn 1996 , als das Gebäude errichtet wurde, war der Anteil der Männer im Polizeidienst erheblich größer gewesen als fünfzehn Jahre später.
    Taskinen goss sich noch etwas Milch in den Kaffee. Eigentlich hätte ich an die Arbeit gehen müssen, doch er schien noch etwas auf dem Herzen zu haben. Ich wartete schweigend. Draußen fiel wieder Schneeregen, und die Kiefern vor dem Gebäude glänzten feucht. Solche Finnlandbilder sah man weder in Touristenprospekten noch auf Internetseiten, die unser Land präsentierten. Zum Glück wussten wir immerhin, dass es von Tag zu Tag heller wurde und dass der Frühling irgendwann den Winter vertreiben würde. Noor Ezfahani würde diesen Frühling nicht mehr sehen.
    «Machen wir das Beste daraus», sagte Taskinen schließlich. «Gut, dass Ruuskanen sich wenigstens halbwegs kooperativ zeigt. Sein Dezernat ist rettungslos überlastet, nicht mal bei einfachen Messerstechereien wird die Voruntersuchung fertig, selbst wenn der Verdächtige die Tat gestanden hat. Hoffentlich ist der Mord an Fräulein Ezfahani ein leichter Fall. Sie war eine Freundin von eurer Iida?»
    «Nur eine Bekannte aus dem Mädchenclub. Dort findet heute eine Gedenkfeier für Noor statt. Ich habe Iida versprochen, sie hinzubringen.»
    «Natürlich ohne jeden Hintergedanken?», lächelte Taskinen.
    «Du kennst mich doch. Absolut ohne Hintergedanken.»
    Taskinen trank seinen Kaffee in einem Zug aus, wir standen gleichzeitig auf. Ich ging die Treppe hinunter in unseren Einsatzraum. Puupponen hatte gleich am Morgen zwei Fotos von Noor neben den Bildern der vermissten Mädchen befestigt. Das eine zeigte eine lächelnde, dunkeläugige Schönheit, das andere ein lebloses Wesen mit aufgedunsenem Gesicht, dem die Zunge dunkelblau und geschwollen aus dem Mund hing. Auf den Haaren lagen gefrorene Schneeklumpen, um den Hals schlang sich das violette, mit Goldfäden bestickte Tuch, das auf dem ersten Foto die Haare verhüllt hatte.
    Wilder Hass packte mich. Eine solche Ungerechtigkeit durfte nicht geschehen. Was für eine entsetzliche Tat, ein so junges Leben zu vernichten! Als vernünftige und erfahrene Polizistin wusste ich freilich, dass es nicht meine Aufgabe war zu hassen, sondern das Verbrechen aufzuklären. Ich musste meinen Hass in eine Peitsche verwandeln, die mich bei der Suche nach dem Täter antrieb. Einige Monate zuvor hatte ich hilflos mit ansehen müssen, wie meine Freundin von einer Bombe am Straßenrand getötet wurde, und hatte nichts dazu beitragen können, ihre Mörder vor Gericht zu bringen. In Noors Fall würde mir das nicht passieren.
    Mein Computer war betriebsbereit. Ich loggte mich zuerst ins polizeiliche Intranet ein, ging dann auf die Seiten des Polizeibezirks West-Uusimaa und schließlich in den Ordner, den Ruuskanen angelegt hatte. Das Passwort Persien funktionierte erst, als ich auf die Idee kam, alle Buchstaben großzuschreiben. Der Bericht über den Leichenfundort war noch nicht komplett, da einige Gegenstände, die man dort entdeckt hatte, unter anderem ein einzelner dunkelgrauer Fausthandschuh und eine leere Bierflasche, noch analysiert werden mussten. Auch stand noch nicht fest, ob Fund- und Tatort identisch waren. Mit einiger Sicherheit war davon auszugehen, dass Noors Leiche mindestens seit den frühen Morgenstunden im Schnee gelegen hatte, denn sie war von einer dünnen Schneeschicht bedeckt gewesen, und dem Wetterradar des Meteorologischen Instituts nach hatte es in Olari zwischen fünf und halb sieben geschneit. Als die Leiche gefunden wurde, lag die Temperatur einen halben Grad unter null, daher war der Schnee noch nicht geschmolzen. Noors Körpertemperatur hatte 30 , 2 Grad betragen, doch auch daraus ließ sich die Todeszeit nicht genau erschließen. Die Untersuchung des Mageninhalts bei der Obduktion würde genauere Hinweise liefern. Außerdem musste geklärt werden, wohin Noor gegangen war, nachdem sie die elterliche Wohnung verlassen hatte. Ruuskanen hatte Verstärkung von der Schutzpolizei angefordert, um die Nachbarn und eventuelle Passanten in der Umgebung der Schule von Olari zu befragen. Außerdem wurde über die Printmedien, den Rundfunk und die Webseite der Polizei um sachdienliche Hinweise aus der Bevölkerung gebeten. Es waren bereits Dutzende von

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