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Sag mir, wo die Mädchen sind

Sag mir, wo die Mädchen sind

Titel: Sag mir, wo die Mädchen sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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gestern Abend angerufen und die sofortige Freigabe der Leiche gefordert. Auch mit der Autopsie war er nicht einverstanden, aber ich habe ihm erklärt, dass in unserem Land die Religion nicht über die Gesetze hinwegtrampelt. Das Mädchen wird erst dann beerdigt, wenn wir mit der Leiche fertig sind.»
    Mein stumm geschaltetes Handy leuchtete auf. Die angezeigte Nummer war mir unbekannt. Ich schrieb rasch eine SMS , ich könne jetzt nicht sprechen, doch der Anrufer solle bitte seinen Namen mitteilen.
    Liisa Rasilainen berichtete gerade über die Befragung der Nachbarn. Die Nachricht, dass Noor heftig geweint hatte, als sie das Haus verließ, trug vermutlich dazu bei, dass Ruuskanen sich entschloss, Koivus Vorschlag zuzustimmen und die Ezfahanis erneut vorzuladen.
    «Kallio will sicher dabei sein, desgleichen Koivu, Puupponen, Lehtovuori und Timonen, die ja die Angehörigen schon einmal befragt haben. Ich übernehme den Vorsitz. Damit wären wir sechs, das dürfte reichen. Honkanen, als Expertin für Frauenangelegenheiten kannst du zusammen mit den Technikern Noors Sachen genauer inspizieren. Außerdem solltest du mit Rasilainen die Nachbarn der anderen Ezfahanis befragen. Es würde mich nicht wundern, wenn die Tat in deren Wohnung verübt worden wäre.»
    «Waren wir überhaupt schon dort, in der Wohnung der Männer, meine ich? Haben wir einen Durchsuchungsbefehl?», fragte Ursula.
    «Noch nicht. Warten wir erst mal ab, was die Vernehmung bringt. Reza junior und Farid müssen wir von der Arbeit wegholen und diesen … Vafa oder wie er heißt aus der Schule, aber das wird ihm wahrscheinlich nichts ausmachen.»
    «Sind sie denn nicht krankgeschrieben? Beim Tod eines nahen Angehörigen kriegt man doch frei, oder?», wunderte sich Lehtovuori.
    «Offenbar kennen sie das finnische System noch nicht so genau», schnaubte Ruuskanen. «Und was hilft eine Krankschreibung, die macht die Toten auch nicht wieder lebendig. Am besten ist es, so schnell wie möglich wieder in den Sattel zu steigen, weiterzuleben.»
    Ruuskanen war offensichtlich keiner von denen, die Betroffenen die Kontaktdaten der Hilfsstelle für Opfer von Gewalttaten oder des Vereins der Angehörigen von Mordopfern in die Hand drückten. Beruhten seine Worte über die beste Methode, mit einem Todesfall fertigzuwerden, womöglich auf eigener Erfahrung? Vor den anderen konnte ich ihn nicht danach fragen. Vielleicht wusste es jemand, im Polizeipräsidium war man über die Angelegenheiten der Kollegen oft besser informiert, als es einem lieb sein konnte. Erfahrungen prägten uns in unserem Beruf, doch sie prägten nicht alle auf die gleiche Weise. Als junge Polizistin hatte ich einige Tatverdächtige zu sanft angepackt. Inzwischen wusste ich, dass eine Amtsperson nicht immer die beste Trostquelle war, auch wenn Polizisten manchmal keine andere Wahl hatten, als einen gebrochenen Menschen in die Arme zu nehmen, damit er sich ausweinen konnte.
    «In dieser Runde ist noch nicht zur Sprache gekommen, dass Noors Vetter, der dreiundzwanzigjährige arbeitslose Rahim Ezfahani, zweimal wegen Körperverletzung verurteilt wurde, zuerst 2003 kurz nach seiner Ankunft in Finnland, dann erneut im letzten Jahr. 2003 war Rahim Asylbewerber, aber er wurde nicht ausgewiesen, weil er minderjährig war und auch alle seine Angehörigen hier auf die Behandlung ihres Asylantrags warteten. Im letzten Jahr handelte es sich um eine Auseinandersetzung zwischen zwei Cliquen, die aus dem Ruder lief; außer Rahim wurden auch andere verurteilt. Niemand wurde ernsthaft verletzt, und Rahim wurde die Aufenthaltserlaubnis nicht entzogen. Einer der Zeugen der Anklage war ein gewisser Miro Ruuskanen. Ist er möglicherweise mit unserem Ermittlungsleiter verwandt?» Koivus Stimme klang gereizt.
    «Dass mein Sohn Miro heißt, dürfte dir längst bekannt sein, aber erstens ist er volljährig, und zweitens war er tatsächlich nur Zeuge und nicht an der Schlägerei beteiligt. Ich sehe da kein Befangenheitsproblem», versetzte Ruuskanen.
    «Aber an der Schlägerei waren auf der einen Seite Muslime, hauptsächlich Iraker und Kurden, beteiligt und auf der anderen Seite finnische patriotische Aktivisten. Deren Trupp nennt sich Das Herz Finnlands, und dein Sohn ist dort Mitglied. Er hat sich sogar das Emblem der Gang tätowieren lassen.»
    «Koivu hat fleißig Hausaufgaben gemacht. Aber mein Sohn und seine Denkweise haben mit dem Mord an Noor Ezfahani nichts zu tun. Mein Sohn ist ein erwachsener Mann, der sein eigenes

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