Sag mir, wo die Mädchen sind
stellte. Ich würde ihr später eine Antwort geben, falls sie sie dann noch hören wollte.
«Mir hat man nichts gesagt. Die Männer sind einfach gegangen, um Wasserpfeife zu rauchen, Tee zu trinken und über Männersachen zu sprechen. Eine lange, lange Zeit kam niemand nach Hause. Noor ließ nichts von sich hören. Dann kam mein Mann zurück und befahl mir, schlafen zu gehen, bei ihnen würde es spät werden. Ich sagte, dass ich nicht zu Bett gehen kann, bevor Noor nach Hause kommt. Reza, mein Mann, sagte, sie wäre bei ihnen. Da wusste ich, dass etwas nicht in Ordnung war. Ich dachte, vielleicht schlagen sie das Mädchen oder holen einen Imam, der sie mit Rahim verheiratet, obwohl die Ehe nach finnischem Gesetz keine Gültigkeit hätte. Noor hatte gesagt, wir könnten sie nicht zwingen, denn laut Gesetz müsse sie achtzehn sein, um heiraten zu können. Aber mit achtzehn wäre sie volljährig und wir hätten ihr nichts mehr vorzuschreiben. Sie hat gelacht, als sie das sagte, ihrem Vater ins Gesicht gelacht.»
Frau Ezfahani hatte keinen Schlaf gefunden, sie hatte gewartet und gebetet, dass sich die Dinge zum Guten wendeten. Allah war weise und allmächtig. Sie hatte in der dunklen Wohnung am Fenster gestanden und auf die Rückkehr der Männer gewartet, und als sie sie kommen sah, hatte sie sich rasch ins Bett gelegt und schlafend gestellt. Doch sie hatte ihren Mann und ihre Söhne leise miteinander reden gehört und sich aus den Gesprächsfetzen zusammengereimt, dass Noor nicht verprügelt oder zwangsverheiratet, sondern getötet worden war.
«Ich wusste, dass es schlecht ausgeht, das wusste ich sofort, als ich von dem Jungen hörte. Rahim und Vafa hatten Noor mit ihm gesehen, und als sie gefragt wurde, wer der Junge war, hat sie geantwortet, das gehe ihren Bruder nichts an und ihren Vetter erst recht nicht, obwohl sie ihm schon seit Jahren versprochen war. Noor sagte, sie würde immer nur tun, was sie selbst wollte, denn in diesem Land sei sie vom Gesetz geschützt. Sie würde Ärztin werden und sowohl Männer als auch Frauen behandeln. Noor war aufmüpfig und musste dafür büßen.»
Es fiel Gullala schwer, ihre Stimme unter Kontrolle zu halten, während sie dolmetschte, und ihre Augen waren feucht. Ich wusste nicht, ob sie verheiratet war, ob sie aus freien Stücken geheiratet oder ob jemand anders den Ehemann für sie ausgewählt hatte. Frau Ezfahani fuhr in ihrem Bericht fort, als wären ihre Worte ein Strom, der den Damm durchbrochen hat und sich nicht mehr aufhalten lässt.
«Am Morgen sind wir zum Gebet aufgestanden. Niemand hat etwas über Noor gesagt. Nach dem Gebet habe ich gefragt, wo sie ist. Reza hat mir befohlen, zuerst Tee zu kochen. Ich sagte, ich koche keinen Tee, bevor ich weiß, wo meine Tochter ist. Er befahl mir, still zu sein. Ich kochte den Tee, ich war still. Dann kamen die anderen, ohne Noor, und mir wurde gesagt, ich müsse genau tun, was sie mir raten, genau das erzählen, was sie mir sagen, dann würde alles gut. Aber ich hatte in der Nacht gehört, dass Rahim es getan hat. Und Reza hat es mir später heimlich erzählt, er wollte die Bürde nicht allein tragen, und er hoffte, dass wir Noor bald nach islamischem Ritus beerdigen können. Er war voller Gram, er hatte nicht gewollt, dass Noor stirbt, aber er konnte den Sohn seines Bruders nicht verraten, der doch nur die Ehre seiner Familie verteidigt hat. Und dann hat Reza mir das Schlimmste erzählt, aber das kann ich nicht glauben. Noor hatte spöttisch zu Rahim gesagt, sie wäre ohnehin nicht mehr gut genug für ihn, denn sie hätte ihre Jungfräulichkeit dem gefährlichen Jungen geschenkt. Sie wollte Rahim wohl nur ärgern, nicht wahr? Es kann doch nicht stimmen? Das verstößt gegen alles, was ich sie gelehrt habe. Ist sie tatsächlich als Missetäterin gestorben?»
Ich konnte mir vorstellen, was im Auto passiert war. Noor hatte den Hass ihres eifersüchtigen, sexuell frustrierten Vetters unterschätzt. Natürlich hatte sie ihr Schicksal nicht selbst verschuldet, der Schuldige war derjenige, der ihr das Tuch um den Hals gelegt und zugezogen hatte, bis sie erstickte, aber ich konnte dennoch nachvollziehen, wie Rahim seine Tat vor sich selbst rechtfertigte. Ich war während meiner Laufbahn so vielen Finnen begegnet, die ihre Ehefrauen misshandelten, dass ich Rahims Tat nicht ausschließlich seiner religiösen Überzeugung zuschreiben wollte. Es war pures Besitzstreben, was ihn angetrieben hatte, auch wenn er es vielleicht mit den
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