Sag mir, wo die Mädchen sind
und an der Nordgrenze zu Pakistan. Nach ihm wird gefahndet.»
Auch Vala hatte den Namen Omar Jussuf erwähnt, war also offenbar doch nicht so unwissend, wie ich gedacht hatte. Trotzdem hoffte ich, ihn nie wiederzusehen. Ich stand vom Computer auf, als mein Vater mit Taneli vom Training kam. Taneli hatte mehrmals den zweifachen Flip geschafft, berichtete er, nun wollte er seinem Großvater unbedingt seine Lieblingsvideos von Eiskunstlaufveranstaltungen vorspielen, und dem stimmte bereitwillig zu. Während der Olympiade 2002 hatte ich Elternurlaub gehabt und eine Woche mit Iida und Taneli bei meinen Eltern in Arpikylä verbracht. Mein Vater hatte mich damals vollkommen überrascht, denn er war zu Tränen gerührt gewesen, als Alexej Jagudin, der Sieger im Eiskunstlauf der Männer, vor Freude weinte. Ich selbst erinnerte mich an den männlichen Part des siegreichen Eistanzpaares noch besser als an Jagudin. Eine Zeitlang hatte ich das Foto des löwenmähnigen Mannes sogar als Bildschirmschoner verwendet.
Auch Iida suchte die Aufmerksamkeit ihres Großvaters und zeigte ihm ihre Extraaufgaben in Mathematik. Ich legte mich aufs Sofa, um zu lesen, schlief aber bald ein; als Venjamins Schnurren auf meinem Bauch mich weckte, war es bereits neun Uhr, und Antti erwartete mich in der Sauna. Am Sonntag hatte ich frei, erfuhr aber von Ruuskanen, dass Noors Fingerabdrücke in Omar Hassans Toyota sichergestellt und Haare von ihr im Kofferraum des Wagens gefunden worden waren. Ein geschickter Strafverteidiger würde die Beweiskraft dieser Indizien anfechten, doch es ging voran. Bis zur Gerichtsverhandlung würde ich mich wohl nicht mehr mit den Ermittlungen im Mordfall Noor Ezfahani befassen müssen.
Ebenfalls am Sonntag kamen neue Informationen von ISAF . Unter denjenigen, die bei der Explosion den Tod gefunden hatten, waren zwei Frauen, die zum Küchenpersonal gehörten. Eine Lehrerin und zwei Polizeianwärterinnen lagen mit leichten Verletzungen im Krankenhaus. Nachdem ich die Mitteilung gelesen hatte, joggte ich eine Runde in der frischen Abendluft. Der Himmel war durchscheinend blau, der Boden gefror allmählich, bald würden die Sterne aufgehen. In den Nachrichten wurde die Frage erörtert, ob Finnland nach der früheren Beteiligung an dem Afghanistan-Projekt nun auch noch Mittel für den Wiederaufbau der Polizeischule bereitstellen solle. Drei von vier der befragten Passanten waren dagegen. «Wir sollten lieber für unsere eigenen Leute hier im Land sorgen.» Nun ja.
Am Montag erhielt ich schon vor dem Frühstück eine SMS von Puupponen: «Hast du die Schlagzeilen gesehen? Das eine Sensationsblatt bringt ein großes Interview mit Tuomas Soivio, aus dem das andere schon auf seiner Webseite zitiert. Der Bursche stilisiert sich zum Helden hoch. Das Internet ist voll von ihm.»
Ich überlegte, ob ich am Computer nachsehen sollte, entschloss mich aber zu warten, bis ich am Arbeitsplatz war. Um die Boulevardblätter zu kaufen, hätte ich ohnehin bis zur Tankstelle beim Präsidium fahren müssen. Über Noors Ermordung wurde auch in unserer Tageszeitung berichtet. Ruuskanen hatte eine Pressemitteilung herausgegeben, in der er über Fortschritte in den Ermittlungen berichtete und die Auseinandersetzung zwischen zwei in den Fall verwickelten Personen in Kuitinmäki kritisierte. Bei Straftaten, die von Migranten begangen wurden, bemühten sich die meisten Medien um sachliche Berichterstattung; sie äußerten sich sogar so zurückhaltend, dass manche ihnen vorwarfen, sie hielten Informationen zurück. Im Internet war alles anders, dort waberten Hass und Anschuldigungen, und ich fürchtete, dass die Skandalblätter sich bald anschließen würden, um die Gunst ihrer Leser nicht zu verlieren. Die Reporter liebten ihre Scoops, aber nur wenige von ihnen wollten wirklich rassistische Auseinandersetzungen schüren, auch wenn sie Stoff für saftige Schlagzeilen geboten hätten. Letztlich hofften wir alle, unsere abgeschottete finnische Idylle behalten zu können.
Wie hätte ich selbst mich verhalten, wenn ich aus irgendeinem Grund in Afghanistan hätte bleiben müssen? Sicher hätte ich meine Religion nicht gewechselt, obwohl ich nicht einmal genau wusste, woran ich glaubte. Jedenfalls nicht an ein Wesen, das von mir verlangte, Andersgläubige zu hassen.
Da Ruuskanen meine Zelle nicht zur Morgenbesprechung eingeladen hatte, loggte ich mich am Arbeitsplatz als Erstes ins Intranet ein. Dort hieß es nur lapidar, die Ermittlungen dauerten an.
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