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Sag mir, wo die Mädchen sind

Sag mir, wo die Mädchen sind

Titel: Sag mir, wo die Mädchen sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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alten Sitten, der von Allah diktierten Weltordnung legitimierte.
    «In Allahs Namen konnte ich nicht anders handeln, als alles zu erzählen, auch wenn wir deshalb in den Iran zurückgeschickt werden, was für uns nichts Gutes bedeutet.»
    «Die Aufenthaltsgenehmigungen werden Ihnen sicher nicht einfach so entzogen, da außer Rahim keiner vorbestraft ist. Ob Rahim abgeschoben wird, ist eine andere Frage.»
    «Aber was, wenn mein Mann mir sagt, dass er sich von mir trennt? Wohin soll ich dann gehen, wovon soll ich leben? In der Moschee bin ich sicher auch nicht mehr willkommen. Ich habe meine Familie verraten. Vielleicht töten sie mich als Nächste.» Nun lag ein singendes Weinen in der Stimme von Noor senior, der gleiche Klang wie bei den Klagefrauen, über die ich Dokumentarfilme gesehen hatte. War es immer noch so wie seit jeher – die Männer erklärten Kriege und hielten Brandreden, und die Frauen weinten über die Folgen? Galt das auch im dritten Jahrtausend noch?
    Bei den anderen Ezfahanis wechselte Ruuskanen die Vernehmungstaktik. Sie wurden voneinander getrennt und mit ganz neuen Fragen konfrontiert. Ruuskanen interpretierte die gesetzlichen Vorschriften dahingehend, dass unter engen Angehörigen nur Verwandte in direkter Linie sowie Geschwister zu verstehen waren. Demnach waren Vetter und Onkel keine engen Angehörigen, und Noors Familie konnte die Aussage gegen Rahim nicht verweigern. Als er das hörte, weinte Noors jüngerer Bruder Vafa und verwickelte sich bei der Befragung, die Koivu übernommen hatte, in Widersprüche. Nach zwei Stunden gab er schließlich zu, seine tote Schwester «in einem Auto» gesehen zu haben. Den Namen des Täters verriet er jedoch nicht.
    Die Vernehmungen der Ezfahanis würden mehrere Tage in Anspruch nehmen, alle Männer der Familie waren vorläufig festgenommen. Im Zellentrakt herrschte Hochbetrieb, wie immer am Wochenende. Tuomas Soivios Vater war am Samstagnachmittag auf das Präsidium zurückgekehrt und hatte erneut die Freilassung seines Sohnes gefordert, den Ruuskanen bei dem ganzen Tohuwabohu offenbar völlig vergessen hatte. Da Herr Soivio diesmal einen Juristen mitbrachte, hielt Ruuskanen es für ratsam, Tuomas auf freien Fuß zu setzen, allerdings mit der Auflage, sich für weitere Vernehmungen bereitzuhalten. Als ich gerade nach Hause gehen wollte, traf ich in der Eingangshalle des Präsidiums auf Tuomas, seinen Vater und dessen Juristen, der kein anderer war als mein Kommilitone Kristian Ljungberg, mit dem ich vor langer Zeit eine Weile zusammengelebt hatte. Kristian hatte vor zwei Jahren ein Verhältnis mit Ursula Honkanen gehabt. Ich hoffte aufrichtig, dass die beiden sich nicht über den Weg liefen, sonst würde ich am Ende noch die Schiedsrichterin spielen müssen.
    «Maria, wie schön, dich unter den Lebenden zu sehen!» Kristian fasste mich an den Schultern und küsste mich auf beide Wangen, ganz korrekt, ohne mit den Lippen meine Haut zu berühren. «War es letzten Herbst in Afghanistan nicht ziemlich gefährlich? Wie bist du überhaupt dahin geraten?»
    «Beruflich, Kristian, beruflich.»
    «Tja, und jetzt treffen wir beiden offenbar beruflich aufeinander. Mein Klient hat sich nach Kräften bemüht, die Polizei bei der Aufklärung des Mordes an seiner Freundin zu unterstützen, und musste zur Belohnung die Nacht in einer Zelle verbringen. Eine unschöne Sache.»
    «Du kennst das Gesetzbuch so gut wie ich und weißt, dass leichte Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Bedrohung keine Kleinigkeiten sind. Gegen deinen Klienten wird Anklage erhoben werden.»
    «Hat er schon gestanden?», mischte sich Tuomas ein.
    «Meinst du Rahim Ezfahani? Nein.»
    «Aber er war es! Noor hat ihn verabscheut.»
    «Lass uns in Ruhe unsere Arbeit tun. Wir sind schon gut vorangekommen.» Wenn ich mit Tuomas unter vier Augen gewesen wäre, hätte ich vielleicht angedeutet, dass es Indizien für Rahims Schuld gab, doch in Kristians Anwesenheit hielt ich mich zurück. An sich hatte Tuomas auch gar keinen Anspruch auf Auskunft, obwohl es sich bei dem Opfer um seine Freundin handelte. Ich betrachtete den Jungen mit einer Mischung aus Mitleid und Wut. Warum hatte er sich benommen wie der Held eines Videospiels? Es ärgerte mich, dass er mich in seine Inszenierung hineingezogen hatte.
    «Wir sehen uns vor Gericht, Maria», erklärte Kristian. «Mein Klient hat dich zum Schauplatz gerufen, hat dir also aus irgendeinem Grund vertraut. Und das hast du ihm vergolten, indem du ihn

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