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Sag mir, wo die Mädchen sind

Sag mir, wo die Mädchen sind

Titel: Sag mir, wo die Mädchen sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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gesehen, nachdem sie die Wohnung ihrer Eltern in der Kuitinkatu sechs verlassen hatte und zur Bushaltestelle gegangen war?» Ruuskanen wurde allmählich nervös, und auch Gullala, die zum zehnten Mal dieselben Worte dolmetschte, sprach schriller als zu Beginn der Vernehmung. Ursula trommelte mit den Fingernägeln auf den Tisch. Am Daumennagel war der silbrige Lack abgeblättert, und ihr Parfüm roch nach gestern. Ich sah ihr an, dass sie die Nase gestrichen voll hatte.
    «Das hat alles keinen Sinn, Rahim», sagte sie plötzlich, stand auf und stellte sich vor dem Jungen in Positur. Er blickte nicht auf. «Wir wissen, dass du es getan hast. Übersetz das!», wandte sie sich mit lauter Stimme an Gullala.
    «Hör mal, Honkanen …», begann Ruuskanen.
    «Sei still! Ich hab keine Angst vor Rassismusvorwürfen. Das brauchst du nicht zu dolmetschen. Aber sag dem jungen Herrn Ezfahani, dass ein Cousinenmörder mit Migrationshintergrund es in einem finnischen Gefängnis nicht leicht hat. Könnte sein, dass er Schweinefleisch zu essen kriegt, wenn er nicht aufpasst. Also ist es besser für ihn, jetzt gleich ein Geständnis abzulegen, dann fällt das Urteil milder aus.»
    «Das brauchst du auch nicht zu dolmetschen, Gullala. Ursula, he, wir sind hier nicht in Guantánamo», mischte sich Puupponen ein.
    Wieder klopfte es, diesmal stand Liisa Rasilainen an der Tür.
    «Jemand fragt nach dir, Maria.»
    «Wir sind beschäftigt», blaffte Ruuskanen.
    Ich stand auf und schlüpfte zur Tür hinaus.
    «Wer will mich sprechen?»
    «Sie sagt, sie sei die Mutter des ermordeten Mädchens. Lief auf mich zu, als ich gerade zur Arbeit kam. Sie sagte, sie hätte nicht gewagt, den Mann am Schalter anzusprechen, aber mit mir könne sie reden, weil sie trotz des Overalls gesehen habe, dass ich eine Frau bin.»
    «Und wo ist Frau Ezfahani jetzt?»
    «Sie wartet in der Eingangshalle. Mir blieb nichts anderes übrig, als sie bei Akkila zurückzulassen.»
    Die anderen würden auch ohne mich zurechtkommen, vorausgesetzt, Ursula und Ruuskanen gingen sich nicht gegenseitig an die Gurgel. Ich folgte Liisa die Treppe hinunter in die leere Halle. Frau Ezfahani stand bei unserem Maskottchen und streichelte dessen gelben Fangarme. Ihr Gesicht war vollkommen ausdruckslos. Es erinnerte an einen tiefen Brunnen, der auf ewig ausgetrocknet ist und alles Wasser von sich weist, das man hineingießt.
    «Kommissarin Kallio. Rahim hier?»
    «Ja, er ist vorläufig hier bei uns.»
    «Sie wissen? Er erzählen?»
    «Was sollte Rahim erzählen?»
    Die Frau sagte etwas auf Persisch, ihre Stimme klang tief und erschöpft. Dann zuckte sie zusammen und sprach auf Finnisch weiter:
    «Die Familie ist alles, so ich immer glaubt. Und Mann besser … größer. Aber Mann darf nicht töten mein Mädchen.» Dann murmelte sie wieder etwas auf Persisch. Es klang, als flehe sie um Kraft.
    «Rahim es getan. Tötet Noor. Vielleicht Rahim tötet jetzt mich, aber die haben ihm befehlt. Alle Männer. Sie befehlen, und Rahim tötet meine Noor.»

[zur Inhaltsübersicht]
    14
    A ls ich am Montagmorgen zur Arbeit stapfte, kam es mir vor, als hätte ich Sand in den Augen. Ich hatte zwar gut geschlafen, aber das arbeitsreiche Wochenende steckte mir in den Knochen. Allerdings würde es für mich ab jetzt etwas leichter werden, denn der Mord an Noor Ezfahani schien geklärt. Rahim hatte zwar kein Geständnis abgelegt, sondern weiterhin eisern geschwiegen, doch es fanden sich immer mehr Beweise für seine Schuld. Besonders wichtig war natürlich die Aussage von Noors Mutter. Ich hatte ihr einen Platz im Frauenasyl in Espoo besorgt, denn nachdem sie Rahim verraten hatte, war sie ihres Lebens nicht mehr sicher. Es blieb abzuwarten, wie der Richter ihre Aussage gewichten würde. Nach finnischem Gesetz konnte man die Aussage gegen die nächsten Angehörigen verweigern. In der iranischen Kultur bildeten alle Ezfahanis eine Familie, waren also enge Angehörige. In Finnland dagegen verstand man unter dem Begriff Familie nur die Eltern und Kinder. Rahim war der Neffe des Mannes von Noor Ezfahani senior, also nicht einmal ein Blutsverwandter von ihr. Bei strengster Auslegung konnten Frau Ezfahani, ihr Mann und ihre Söhne sogar wegen Irreführung der Polizei angeklagt werden. Verrückterweise würde man Rahims Bruder, seinem Vater und selbst dem Großvater diese Straftat womöglich nicht vorwerfen können, aber gegen alle Ezfahanis würde eine Anklage wegen Vertuschung einer Straftat oder sogar Beihilfe zum

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