Sag mir, wo die Mädchen sind
Ufer forderten zwei Eislochangler das Schicksal heraus. Obwohl das Haus zwischen zwei Stadtautobahnen lag, war keinerlei Verkehrslärm zu hören.
«Die Fenster sind so gut isoliert, dass keine Wärme verloren geht. Manchmal überlege ich allerdings, ob es nicht gefährlich werden könnte, dass die Schallisolierung genauso erstklassig ist. Wenn die Verrückten da draußen im Eis einbrechen, höre ich ihre Hilferufe nicht. Ist es nicht seltsam, dass manche Männer sich noch im Rentenalter für unsterblich halten? Setz dich mit dem Gesicht zum Meer, Kommissarin. Ich kann die Aussicht jeden Tag genießen.»
Auf dem runden, mit feinem Schnitzwerk verzierten Tisch lag eine faltenlose weiße Leinendecke, auf Platztellern standen zwei Suppenteller, daneben kleinere Brotteller. Ich kannte mich mit Geschirr nicht gut aus, doch dieses Service war bestimmt nicht billig; ich überlegte, wie hoch der Eigenanteil bei meiner Hausratsversicherung war und ob die Versicherung überhaupt einspringen würde, falls ich Sandelins Luxusporzellan zerbrach. Auch die Wassergläser waren dekorativ, bei ihrem Anblick musste ich an die Glasgeschäfte in Tschechien und Polen denken, in die ich mich nie hineingewagt hatte, weil ich sicher war, Scherben zu hinterlassen.
«Mojca, du kannst die Suppe auftragen!»
Eine dunkelhaarige, etwa dreißigjährige Frau trat ein. Sie trug normale Kleidung – eine hellblaue Bluse und Jeans –, aber die Haare wurden von einem weißen Stirnband zurückgehalten, und die Kleidung schützte eine weiße Schürze, die noch faltenloser war als das Tischtuch. Die Suppenschüssel gehörte zum selben Service wie die Teller, und die Kelle war aus Silber. Edelmetalle zu erkennen, hatte man uns auf der Polizeischule immerhin beigebracht.
«Aalquappensuppe, eine Spezialität der Jahreszeit. Hoffentlich schmeckt sie dir.»
Mojca war hinausgegangen und kam nun mit einem Brotkorb und einer Butterdose zurück. Es gab drei verschiedene Sorten Brot, alle rochen frisch gebacken. Das Wasser lief mir im Mund zusammen, als ich mir Suppe auf den Teller schöpfte. Quappen hatte ich seit Jahren nicht mehr gegessen. Vielleicht sollte ich Frau Sandelin lieber nicht verraten, dass diese Delikatesse meinem Vater widerwärtig war. Im Winter war nämlich bei den Kallios das Geld immer knapp gewesen, weil man alles daransetzte, den jüngsten Sohn aufs Gymnasium zu schicken, und deshalb hatte die Familie vorwiegend von den Quappen gelebt, die mein Großvater und Onkel Pena fischten. Mein Vater hatte geschworen, wenn er einmal eine eigene Familie habe, kämen niemals Aalquappen auf den Tisch – und daran hatte er sich gehalten.
Wir aßen eine Weile schweigend. Der dickere der Eislochangler zog einen Fisch an Land, die Autos rollten über die Umgehungsstraße wie in einem Stummfilm. Frau Sandelin reichte mir den Brotkorb, ich wählte dunkles Brot, wie man es auf den Schären backt. Dazu gab es keine fettarme Margarine, sondern echte Butter.
«Ich habe letzte Nacht wach gelegen und darüber gegrübelt, ob ich es hätte verhindern können», begann Frau Sandelin schließlich. «Wir im Mädchenclub wussten natürlich, dass Noors Familie sich in Finnland nicht richtig integriert hat. Aber man hofft ja immer das Beste, und die beiden älteren Generationen hatten offensichtlich zumindest zu einem gewissen Grad begriffen, dass man sich nach den Sitten des Landes richten muss, in dem man lebt. Ich verstehe, dass die Polizei der Schweigepflicht unterliegt, und erwarte auch gar nicht, dass man mir mehr erzählt als den Skandalreportern, aber … hatten wirklich alle gemeinsam beschlossen, Noor zu töten?»
«Das ging allein von Rahim Ezfahani aus. Die anderen haben ihn lediglich gedeckt.»
«Im letzten Frühjahr, als es Zeit wurde, sich für die Sekundarausbildung zu bewerben, kam Noor weinend in den Club. Ich war damals nicht da, aber Heini erzählte mir, dass Noor von ihrer Familie verboten worden war, sich für die gymnasiale Oberstufe zu bewerben. Sie dürfe arbeiten gehen, wenn sie eine Stelle fände, aber in erster Linie müsse sie sich auf die Ehe mit ihrem Vetter Rahim vorbereiten. Sofern die Situation im Land nicht allzu unsicher wäre, sollten die beiden schon im Sommer – also im Sommer des letzten Jahres – in den Iran reisen und heiraten. Nach den dortigen Gesetzen ist die Eheschließung mit einer Fünfzehnjährigen rechtskräftig, und vom religiösen Standpunkt aus erst recht.»
«Diese Ehe musste also verhindert
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