Sag nie, nie wieder
Tasche zu vibrieren. Hastig holte sie es heraus und hoffte, dass ihre Stimme würde nicht zitterte.
Connor wirbelte zu ihr herum. Im selben Moment wurde ihr bewusst, dass sie beide offenbar aus demselben Grund alarmiert wurden. Melissa Robbins, ihre Zeugin, war soeben ermordet aufgefunden worden. Und ein gewisser U.S. Marshal Connor McCoy, der Mann, der Bronte soeben so hinreißend geküsst hatte, war der Hauptverdächtige.
Zwei Tage später wusste Bronte noch immer nicht genau, wie sie es nennen sollte, was sich zwischen ihr und Connor McCoy bei Kellis und Davids Hochzeit abgespielt hatte. Das war allerdings auch nicht weiter wichtig, weil sie ihn seither nicht wieder gesehen hatte. Das würde sie auch nicht. David und Kelli verbrachten die Flitterwochen in den Poconos, und Connor war in den Mordfall Melissa Robbins verwickelt.
Sie band den Gürtel ihres weißen Seidenkimonos, öffnete die Tür und griff nach den acht Zeitungen, die auf der Treppe zu ihrem Hauses lagen.
„Guten Morgen, Miss Bronte."
Sie lächelte der alten Nachbarin zu, die an diesem warmen, schönen Frühlingsmorgen schon um sieben Uhr die Blumen in den Körben vor ihrem Haus goss. „Guten Morgen, Miss Adele.
Ihre Geranien sehen wunderbar aus."
Miss Adele lächelte. „Man darf nie vergessen, etwas Kaffeesatz unter die Blumenerde zu mischen. Den Trick hat mir meine Großmutter verraten."
Bronte winkte und kehrte in die Küche zurück, legte die Zeitungen auf den Tisch und seufzte. Die Story ihrer Zeugin und Connor McCoys stand auf den Titelseiten.
Als sie selbst an jenem Abend - noch im Kleid der Brautjungfer - in dem Schutzhaus eingetroffen war, hatte sie jede Möglichkeit ausgeschlossen, dass Connor etwas mit Melissa Robbins' Tod zu tun haben könnte. Immerhin hatte sie selbst fast den ganzen Tag an ihn gedacht, zuerst in der Kirche und danach bei der Feier.
Allmählich wurde ihr jedoch bewusst, dass zwischen Kirche und Feier sechs Stunden gelegen hatten, und genau in jenem Zeitraum war Melissa gestorben. Trotzdem wollte sie nicht glauben, dass ein so entschiedener Vertreter des Rechts wie McCoy ein Verbrechen begangen hatte.
Allmählich tauchten Indizien auf. Es hatte Streit zwischen Connor und der Robbins gegeben. Sie hatte sich über Handgreiflichkeiten seitens Connor McCoys beschwert. Bronte hatte sich damals nicht darum gekümmert, weil sie selbst Schwierigkeiten mit der Zeugin hatte. Eine nachfolgende Untersuchung hatte ergeben, dass diese so genannten Handgreiflichkeiten berechtigt gewesen waren, weil die Zeugin die Schutzvorschriften verletzt hatte.
Ein Mal hatte Connor ihr das Telefon weggenommen und die Schnur aus der Wand gerissen, als sie Essen in einem Restaurant bestellen wollte, in dem sie bestens bekannt war. Ein anderes Mal hatte sie während der Fahrt zu Brontes Büro einen Abstecher in ein Wellness-Center machen wollen.
Die einzelnen Vorfälle ließen sich erklären, aber alle zusammengenommen? Es gab bei dem Mord keine Anzeichen für Einwirkung von außen, und Brontes Argumente für Connors Unschuld gerieten ins Wanken.
Außerdem ließ sich sein Alibi nicht bestätigen. Er hatte in einer einsamen Gegend Schießübungen veranstaltet.
Das alles reichte nicht für einen Haftbefehl, doch die Möglichkeit dazu wuchs stündlich.
Bronte kaute auf dem Daumennagel herum. Sie hatte wirklich ein gutes Händchen bei der Wahl ihrer Männer. War es mit Thomas nicht schon schlimm genug gewesen? Musste es jetzt auch noch ein Mordverdächtiger sein?
„Es war doch nur ein Kuss", murmelte sie und setzte sich.
Von wegen Kuss! Das war kein üblicher erster Kuss gewesen, sondern ein explosives Gemisch. Am liebsten hätte sie unter dem Kirschbaum das Kleid hochgezogen und mit Connor geschlafen.
Und das mitten in einem Park in der Hauptstadt!
Bronte stützte den Kopf in die Hände. Anfangs hatte sie diese Stadt aufregend gefunden, vielleicht weil sie sich deutlich von der Kleinstadt Prospect in New Hampshire unterschied, wo sie als jüngste von drei Töchtern eines Mathematiklehrers aufgewachsen war. Die ganze Welt stand ihr plötzlich offen. Und als sie herausfand, dass Männer sich für sie interessierten, hatte sie zugegriffen, als handelte es sich bei ihnen um delikate Pralinen.
Vielleicht hatte sie nur alles nachholen wollen, was sie an der High School versäumt hatte, weil sie die anderen um einen Kopf überragt hatte.
Beruflich war es besser gelaufen als privat, bis sie vor vier Jahren zur Bundesanwaltschaft gekommen
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