Sag niemals nie
Bethene!«, begrüßte
Beverly sie, aber die Frau hastete wortlos weiter.
Auf halbem Weg kamen sie an
einer Plastiktonne vorbei. »Was ist da drin?« Vanessa spähte in den Behälter.
Es lagen erstaunlich lebensecht aussehende Stofftiere darin - jedenfalls
hoffte sie, dass es Stofftiere waren.
»Kätzchen«, antwortete Beverly
knapp.
Der schmale Gang war zu einer
Art Ausstellungsraum für eine Installation umfunktioniert worden, überall
standen Kunstobjekte. Neben der Tonne mit den Kätzchen zum
Beispiel ein lebensgroßer
Weihnachtsmann aus Wachs, der einen großen durchsichtigen Müllsack trug, in dem
nackte Barbiepuppen ohne Kopf lagen. Zu seinen Füßen glühte eine Lavalampe, in
der ziemlich real aussehende Augäpfel herumtrudelten. Das Ganze hatte etwas von
einer begehbaren Geisterbahn, nur ein bisschen gruseliger.
Ein bisschen?
»Die Leute hier sind alle
Künstler«, verkündete Beverly. »Und die Party läuft jetzt schon seit März.«
Vanessa nickte verwirrt.
Vielleicht war diese Party so etwas wie die Happenings, die Andy Warhol in den
Sechzigern in der Factory veranstaltet hatte, wo sich ein Haufen cooler Künstler
zusammengetan hatte, um abgedrehte Kunst zu machen, die niemand so richtig
verstand und die noch nicht mal besonders gut war.
Am Ende des Gangs drückte
Beverly die Tür zum Gebäude auf, die in eine riesige Lagerhalle führte. Es war
kühl in der Halle, und als einzige Lichtquelle verbreiteten vier gigantische
Lavalampen, ähnlich der, an der sie gerade draußen vorbeigekommen waren,
dämmriges Licht. Niemand kam sie begrüßen, und Vanessa stellte überrascht
fest, dass insgesamt auch nur etwa dreißig Leute da waren. Sie hockten in
kleinen Grüppchen im Schneidersitz auf dem Boden, malten mit Fingerfarben auf
Seiten, die sie offensichtlich aus irgendeinem Lexikon gerissen hatten, und
sahen alle hochgradig durchgeknallt aus, so als hätten sie seit Beginn der Party
im März nicht mehr geschlafen. Keiner trank etwas, niemand aß oder unterhielt
sich. Vielleicht war das Ganze ja auch so eine Art Anti-Party-Party.
Vanessa beobachtete eine Frau
in einem roten, fusseligen Morgenmantel und roten Gummistiefeln, die sich ein
Büschel langer dunkler Haare abschnitt und in einen riesigen Topf warf, der auf
einer elektrischen Kochplatte auf dem Boden stand. Ein langer, ausgemergelter
bleicher Mann, der außer einem eleganten schwarzen Herrenhut und schwarzen
Boxershorts nackt war, ging zum Topf und rührte mit einem ausgeklappten
Zollstock darin herum.
»Bruce.« Beverly begrüßte den
Typen mit einem Nicken. »Das ist Vanessa. Sie macht Filme.«
Bruce nickte und hörte gar
nicht mehr auf zu nicken, während er unverdrossen in dem Topf rührte. Vanessa
verfluchte sich dafür, dass sie ihre Kamera nicht dabeihatte. So etwas wie das
hier hatte sie noch nie erlebt.
»Bist du da, um was zu
spenden?«, erkundigte sich Bruce.
Vanessa sah ihn verwirrt an.
Hatte er sie gemeint? Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich
überfordert. Jede andere Party, auf der sie je gewesen war, war derart vorhersehbar
gewesen, dass sie sich hoffnungslos gelangweilt hatte. Sie sah Beverly an und
lächelte zaghaft. Irgendwie cool, dass der Abend mit ihm so ganz anders
verlief, als sie gedacht hätte.
In diesem Moment endete das
Stück und der Soundtrack von »Shrek 2« plärrte plötzlich aus den
Lautsprechern. Vanessa fragte sich mit wachsender Konfusion, wo sie gelandet
war. Sie ging zur Kochstelle und spähte in den Topf. »Was soll das denn
werden?«
Bruce hob seine linke Hand und
wackelte mit den Fingern. Das oberste Glied seines Mittelfingers fehlte -
genau wie bei Beverly. Oder?
»Ich arbeite an einem
Regenerationsprojekt«, erklärte Bruce, als sei damit alles gesagt.
Beverly hielt ebenfalls die
linke Hand in die Höhe und spreizte die Finger. Nein, Vanessa hatte es sich
nicht eingebildet. Das oberste Glied seines Mittelfingers fehlte. »Die meisten
von uns haben ihren Beitrag geleistet, aber es ist jetzt nicht so, als würden
wir jemanden zwingen.«
Nicht? Na, dann ist ja gut.
Normalerweise bekam Vanessa
nicht so schnell Angst, aber allmählich wurde ihr doch mulmig. »Und was macht
ihr... mit den... Spenden... im Topf? Ich meine, wenn sie fertig gekocht sind?«
Bruce strahlte sie an und an
seinem bleichen Hals traten blaue Venen hervor. Er sah aus, als hätte er seit
Monaten nichts gegessen. »Das Entscheidende ist nicht das Machen, sondern das
Rühren.«
Beverly begann, so
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