Sag Onkel - Psycho-Thriller (German Edition)
sie eine ganze Weile theatralisch ihre Zigarette, bevor sie durch die graue Rauchwolke, die uns umwogte, antwortete: »Ihr Onkel war in einer nachtragenden Branche, das wissen Sie.«
»Ich habe nie wirklich gewusst, in welcher Branche er tätig war.«
»Selbstverständlich wussten Sie das. Es nicht zu wissen ist das Gleiche wie es nicht wissen zu wollen.« Sie sah mich durch den Rauch an wie ein Gespenst. »Sehen Sie, das ist jetzt für uns alle keine leichte Zeit. Wenn Sie glauben, dass ich hier bei Ihnen sitzen bleibe und mit Ihnen um den heißen Brei herumrede, sind Sie an die Falsche geraten, in Ordnung? Ihr Onkel war alles Mögliche, aber nie das Monster, das Sie in ihm gesehen haben. Er war, was er war. Punkt. Er hat Sie vermisst und nie aufgehört, von Ihnen zu sprechen. Sie haben ihm das Herz gebrochen.«
»Und er das meine.«
»Ziemlich unversöhnlich, was?«
»Kommt darauf an.«
»Worauf?«
»Vielleicht ist es das, was ich in all diesen Jahren versucht habe. Ich versuche, zu verstehen.«
»Nein, das versuchen Sie nicht. Sie wollen sich nur besser fühlen.«
»Ich möchte nur wissen, was mit ihm geschehen ist.«
»Weil er jetzt tot ist?«
Ich schob meinen Becher auf die Seite und lehnte mich zurück. »Weil ich ihn auch geliebt habe.«
Louise drückte ihre Zigarette heftig in den Aschenbecher, und diesmal wischte sie ihre Tränen mit einer Serviette weg, bevor sie ihr entkamen. »Paulie war ein Dieb. Was zur Hölle haben Sie geglaubt, dass er war? Das war sein Beruf. Ich hatte mein ganzes Leben lang mit Kriminellen zu tun. Mein Vater war einer, so wurde ich aufgezogen, verstehen Sie? Ich bin eine Herumtreiberin, das war ich zumindest jahrelang, ich weiß Bescheid. Als ich ihn getroffen habe, hatte er bereits gesessen. Das hatte ich irgendwann selbst auch, wegen ungedeckter Schecks, also hatte ich ihm nichts vorzuwerfen, verstehen Sie, was ich meine? Ich dachte, er wäre einfach noch so ein Idiot, noch so ein Typ, mit dem es eine Zeit lang lustig sein würde. Damals habe ich noch getanzt. Männer wie Ihr Onkel nehmen Frauen wie mich nicht erst, und glauben Sie mir, Süßer, das gilt umgekehrt genauso. Aber Paulie war anders. Er war etwas Besonderes.«
Sie schluckte schwer und tupfte ihre Augen wieder mit der Serviette ab. »Er war der Eine. Der Eine und Einzige für mich, verstehen Sie, worauf ich hinaus will?«
»Es tut mir leid.« Ich zog eine weitere Serviette aus dem Ständer auf dem Tisch und schob sie zu ihr hinüber. »Ich wollte Sie nicht beleidigen. Das war nicht meine Absicht.«
»Was ist Ihre Absicht?«
»Ich weiß es nicht, ich – es tut mir leid, ich hätte Sie überhaupt nicht belästigen dürfen.« Ich griff nach meiner Brieftasche. »Erlauben Sie mir, Sie einzuladen und …«
»Paulie war ein Fahrer.«
Ich stützte meine Arme wieder auf den Tisch und hörte zu.
»Er war ein Profi, hatte sein Leben lang eine Menge Talente, aber das war sein Spezialgebiet – er war ein Fahrer.«
»Das einzige Mal, dass er verhaftet wurde, an das ich mich erinnern kann, war gleich nach dem Sommer 1979«, sagte ich. »Das war ein schrecklicher Sommer.« Ich zögerte, um zu sehen, ob sie angebissen hatte. Das hatte sie nicht, aber ich war mir nicht sicher, ob das daran lag, dass sie nicht wusste, was in diesem Sommer passiert war, oder an ihrer mangelnden Bereitschaft, mich wissen zu lassen, dass sie es wusste.
»In diesem Herbst wurde er festgenommen, und im folgenden Jahr saß er wegen Raub im Gefängnis. Er war über die Feiertage im Knast, daran kann ich mich erinnern, und daran, wie traurig meine Mutter darüber war. Sie sagte die ganze Zeit, es wäre nicht richtig, dass er die Feiertage nicht bei uns ist. Sie sah nicht den Grund, sondern einfach nur seine Abwesenheit – warum er nicht da war. Onkel und ich haben damals nicht miteinander geredet, aber ich habe die Geschehnisse in den Zeitungen verfolgt. Er war der Fluchtwagenfahrer bei einem verpfuschten Banküberfall. Der Rest der Bande erhielt Haftstrafen von über zwanzig Jahren, aber Onkel bekam sieben bis zehn, weil er nur der Fahrer war; er hatte keine Pistole auf irgendjemanden gerichtet.«
»Das war lange, bevor ich ihn traf, aber ich weiß, dass er acht von den maximal zehn Jahren Knast abgesessen hat«, sagte Louise. »Er hat es ertragen wie ein Mann, aber es hat ihn für den Rest seines Lebens verfolgt. Er hatte Albträume, schlief nie wirklich gut, Ihr Onkel. Hat es immer auf seine Zeit hinter Gittern geschoben.«
Unter
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