Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sag Onkel - Psycho-Thriller (German Edition)

Sag Onkel - Psycho-Thriller (German Edition)

Titel: Sag Onkel - Psycho-Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg F. Gifune
Vom Netzwerk:
Abend bereitete sie dann eine einfache Mahlzeit aus Suppe oder Sandwichs zu und kehrte in ihr Nest im Arbeitszimmer zurück. Hin und wieder telefonierte sie, meistens mit Onkel, der sich während dieser drei Tage aus irgendeinem Grund ebenfalls fernhielt, aber die übrige Zeit saß sie nur still da und schlürfte ihren Drink. Es war eine Angewohnheit, die meine Mutter nie wieder ablegen sollte.
    Im Laufe dieser drei ereignislosen Tage rief Boone mehrmals an, aber jedes Mal schlug ich sein Angebot hartnäckig aus, mich mit ihm zu treffen. Ich wusste, er würde verstehen, dass wir drei – meine Mutter, Angela und ich – diese Zeit zusammen brauchten, selbst wenn wir die gemeinsame Zeit getrennt voneinander verbrachten, in unserem kleinen Haus oder in dem noch kleineren Garten herumwanderten, die leeren Räume mit Seufzern und Schritten, mit Atem und stiller Anwesenheit füllten, weil es für jeden von uns irgendwie ausreichte, zu wissen, dass die anderen da waren.
    Am vierten Tag unserer selbst verordneten Wache spielten Angela und ich gerade am Gartentisch Schach, als unsere Mutter durch die Hintertür schlüpfte und uns sagte, dass sie mit Onkel fortgehen würde. Ich erinnere mich genau, wie ihr Gesicht an diesem Tag aussah, weil es noch verhärmter und blasser als gewöhnlich war. Sie hatte einen Versuch gemacht, ihr Haar zu frisieren, aber es sah dennoch ungewohnt wirr aus. Ihre Kleider hingen verknittert an ihr herunter und waren offenbar schnell und achtlos zusammengesucht worden. Sie sah so aus, als hätte sie seit Langem nicht mehr geschlafen, und vermutlich war es auch so.
    Ich fragte mich, ob sie die gleiche wohltuende Gegenwart in unserem Zuhause gespürt hatte wie ich oder ob das alles nur ein Produkt meiner Fantasie war, Gedanken, die ich mir herbeigewünscht hatte, um uns alle zu beschützen.
    »Ich gehe mal kurz mit dem Onkel weg«, sagte sie leise. »Ich bin bald wieder zurück, okay?«
    »Okay«, antwortete ich für uns beide. Ich machte meinen Zug und schob eine schwarze Figur auf ein neues Quadrat. Als ich aufsah, um auf Wiedersehen zu sagen, war sie bereits fort. Die Fliegentür schlug hinter ihr zu und kam dann zur Ruhe. Ich bemerkte, dass Angela hinter ihr herstarrte.
    »Angie?«
    Sie wandte sich mir zu.
    »Du bist am Zug.«
    Am fünften Tag, als ich gerade anfing, zu glauben, dass vielleicht alles wieder gut werden könnte, war plötzlich wieder alles anders. Alles, von dem ich geglaubt hatte, es sei geheilt, wurde noch schlimmer, und das, was ich am meisten gefürchtet hatte, wurde Wirklichkeit.

10
    Die Welt ist nicht die gleiche, wenn es schneit. Die Dinge sehen anders aus, fühlen sich anders an, und selbst die Geräusche werden verändert. Das Gleiche kann man von der Stille sagen, denn nichts kann man mit dem Schweigen vergleichen, das in einer schneebedeckten Landschaft herrscht. Zusammen mit dem gleichmäßigen Wirbeln der Schneeflocken erinnerte es mich an das Offensichtliche – oder an das, was offensichtlich hätte sein sollen –, dass ich am Leben war. Ich hatte oft das Gefühl, als lebte ich mit einer Verdammung, die mein Bewusstsein weitgehend ausschaltete, als sei ich eine Maschine oder per Autopilot gesteuert. Aber in dieser Stille und im Schnee, als ich die frische Luft atmete und unter der Riesenhaftigkeit eines grauen, leeren Himmels stand, fiel das alles von mir ab.
    Ich blieb am oberen Ende der Treppe neben dem Spirituosengeschäft zögernd stehen und ließ den Blick über die fernen Wälder schweifen. Inmitten der Schönheit, die einer solchen Landschaft sonst eigen ist, zwischen dem Hinterhof und einem Meer von weiß verhüllten Bäumen, stand der verrottete Leichnam eines alten Autos ganz allein auf einem ebenen Stück Land wie ein modernes Kunstwerk und bildete einen passenden, wenn auch perversen Gegensatz.
    Nichts bewegte sich außer dem fallenden Schnee.
    Ich klopfte an die Tür, und nach ein paar Sekunden hörte ich, dass sich in der Wohnung jemand bewegte.
    »Ja?«, fragte eine barsche Stimme.
    »Boone?«
    »Wer ist da?«
    Ich beugte mich vor und sprach gegen die Tür. »Ich bin’s, Andy.«
    »Wer?«
    »Boone, ich bin’s, Andy DeMarco.«
    Ein Riegel klickte. Die Tür öffnete sich mit einem plötzlichen, kratzenden Geräusch. In der Wohnung war es fast dunkel, und so dauerte es einen Augenblick, bis ich die Person in der Tür erkennen konnte. Ich hatte Desmond Boone seit mehr als zehn Jahren nicht gesehen, aber er schien in dieser Zeit um zwanzig Jahre älter

Weitere Kostenlose Bücher