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Sag Onkel - Psycho-Thriller (German Edition)

Sag Onkel - Psycho-Thriller (German Edition)

Titel: Sag Onkel - Psycho-Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg F. Gifune
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hielt und liebevoll auf es hinunterblickte.
    Ich ging langsam den Weg zum Eingang hinauf, obwohl ich nicht wusste, ob es richtig war, dass ich mich hier aufhielt. Wir hatten aufgehört, regelmäßig in die Kirche zu gehen, als ich noch ziemlich klein war, also waren meine Erinnerungen an diesen Ort bestenfalls vage. Und doch war es wie ein Zwang, hineinzugehen und selbst zu sehen, was mich dort tatsächlich erwartete.
    Die Türen öffneten sich in ein kleines, enges Gotteshaus mit hoher Decke. Der Altar an der Rückwand der Kirche war mit einem weißen Tuch bedeckt, und zwei hohe Kerzen in prächtigen Kerzenhaltern standen vorne auf beiden Seiten. Die Fenster an den Seitenwänden bestanden aus Buntglas, farbige Gesichter von Heiligen und Rettern, die mit reserviertem Gesichtsausdruck und liebenden Augen auf mich heruntersahen. Es roch sauber hier, als hätte jemand kürzlich alles mit irgendeinem berauschenden Reinigungsmittel abgewaschen, und mir fiel auf, dass die hölzernen Kirchenbänke so poliert waren, dass sie selbst das wenige Licht reflektierten, das durch die Fenster drang. Links von mir befand sich der Beichtstuhl, die dunklen Vorhänge waren auf einer Seite zugezogen, wie eine geschlossene Tür, die eine zweite verschloss. Das Licht, das anzeigte, dass ein Priester anwesend war, der jemandes Beichte anhörte, war ausgeschaltet.
    Ich ging den Gang hinunter, suchte mir eine Kirchenbank aus, beugte die Knie vor dem Altar, wie man es mir vor einigen Jahren beigebracht hatte, und schlüpfte in die Bank. Sie fühlte sich kühl an meinen Beinen an, fremd, nicht wie ein normales Möbelstück, sondern irgendwie nicht zum täglichen Leben gehörig, weniger bequem.
    Hinter dem Altar sah ich an der Rückwand ein enormes Kruzifix, die tote Gestalt Christi hing daran, das Haupt gekrönt mit Dornen und das Gesicht blutüberströmt, Hände und Füße ans Kreuz genagelt, die Beine eingeknickt und die Wunde an seiner Seite selbst im trüben Licht erkennbar. Grenzenlose Gewalt. Sogar hier.
    Ich wandte den Blick von dem Blutbad ab und betrachtete die Bänke vor mir; sah in der Erinnerung meinen Vater in seinem typischen, verknitterten Anzug ganz in der Nähe sitzen, eine jüngere Version meiner selbst neben ihm, während der Priester die Messe las. Meine Mutter, ebenfalls jünger, fröhlich und lebendig, saß neben ihm, Angela – noch ein Säugling – in den Armen. Ich versuchte, das Gesicht meines Vaters zu sehen, konnte es aber nicht erkennen.
    »Wieso ist Daddy weggegangen?«, hatte ich meine Mutter einmal gefragt.
    Sie lächelte durch ihre Tränen hindurch, berührte meine Wange, wie sie es so oft tat, und sah mich liebevoll an, als hätte ich sie gefragt, warum der Himmel blau ist. Für sie war die Frage genauso simpel und naiv. Sie hat mir niemals darauf geantwortet.
    Während ich in der Stille der Kirche saß, erinnerte ich mich an das Schlafzimmer meiner Eltern und wie es gewesen war, bevor mein Vater fortgegangen war. Für Angela und mich war es ein heiliger Ort, den wir nur zu betreten wagten, wenn wir dazu aufgefordert wurden, und in dem wir uns anders verhielten als im übrigen Haus. Es war ein geheimnisvolles Zimmer, voller unbeantworteter Fragen und Ungewissheiten, die für immer außerhalb unserer Reichweite lagen. Es sah nie so bewohnt aus wie die anderen Räume im Haus, als seien die Kommoden, der Schminktisch, das makellos gemachte Bett und der perfekt aufgeräumte Wandschrank Ausstellungsstücke im Schaufenster eines Möbelgeschäfts. Leblose Möbelstücke, die gestellt wirkten, als dienten sie nur der Betrachtung durch andere, die sie möglicherweise sehen könnten.
    Ich erinnerte mich an meinen Vater, wie er in diesem Schlafzimmer vor einem Spiegel stand, dem Spiegel über der Kommode meiner Mutter, weil seine keinen hatte. Ich erinnere mich, wie er sich eine dünne, schwarze Krawatte umband und sein Spiegelbild anstarrte. Ich erinnere mich, wie verhärmt sein Gesicht aussah; die dunklen Ringe unter seinen Augen, der Schatten seiner dicken Bartstoppeln, und wie auffällig sie waren, selbst wenn er sich nur Minuten vorher rasiert hatte. Ich erinnerte mich, wie ich in der Tür stand, ihm zusah und mich fragte, woran er dachte und warum er so selten mit mir sprach. Selbst damals hatte ich keine Ahnung, wer dieser Mann war und was er wollte. Aber ich wusste, dass er mich nicht wollte, dass er uns nicht wollte. Er wollte dieses Leben nicht.
    Ich vermisste ihn, ohne so richtig zu wissen, wieso.
    Später

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