Saga von Dray Prescot 16 - Vallian-Zyklus 02 - Wildes Scorpio
sollten Nath die Nadel holen ...«
»Sinnlos. Dr. Charboi ist ein sehr angesehener Mediziner, ebenso seine Assistenten. Doch sie lassen Nath die Nadel nicht zu meinem Vater.«
»Ich glaube doch«, stellte ich fest.
Nath die Nadel hatte mich verarztet und sich auch schon um Delia gekümmert. Wenn die neuen Ärzte des Herrschers Nath nicht in der Nähe haben wollten, so gab mir das zu denken. Aus einem Vorzimmer eilten Seg und Thela herbei. Katrin Rashumin, die Kovneva von Rahartdrin, war in ihrer Gesellschaft, die sich mit vollem Herzen Delia zugewandt hatte. Nath die Nadel wirkte unverändert, wenn auch ein wenig geistesabwesend. Dahinter kam Tilly, die Fristle-Dame mit dem herrlichen goldenen Fell. Ich wußte sofort, als ich sie hatte davoneilen sehen, sie würde Delia holen.
»Und hat der Herrscher mich wirklich begnadigt?«
»Noch nicht. Das habe ich nur gesagt, weil es gesagt werden mußte. Aber er wird es tun.«
Ich lächelte Tilly an, und sie lachte und wurde sofort wieder ernst. Thelda, Segs Frau, machte den gewohnten Wirbel um Delia. Sie war Seg eine gute Frau, doch manchmal ging sie mir etwas auf die Nerven.
»Und Nath die Nadel ist höchst gekränkt, lieber Dray!« sagte sie laut. Eine wunderbare Frau mit einer herrlichen Figur, wirkte sie dennoch immer, als sei sie im Begriff, dick zu werden, ohne es wirklich zu sein.
»Nath wollte den Herrscher heilen«, erklärte Seg. »Aber Dr. Charboi hat ihm grob die Tür gewiesen. Sein Ruf ist vorzüglich, er kommt aus Loh. Er ist kein Zauberer von Loh«, fügte er hinzu, »doch er agiert mit dem Hochmut eines dieser ... dieser ...«
»Ja«, sagte ich. Wenn sie einen Zauberer von Loh meinten, äußerten sich gewöhnliche Menschen meistens sehr vorsichtig.
»Tante Katrin war so außer sich. Sie hält es sicher kaum in Esser Rarioch aus. Alles sieht so ... so seltsam aus.«
Ich spürte das Unbehagen, das im Innern des Palastes herrschte, wie auch in ganz Vondium. Unmerklich hatten sich die Dinge in Vallia verändert; man hatte beispielsweise wenig darauf geachtet, wenn alte Pallans starben oder sich zurückzogen und neue Pallans an ihre Stelle aufrückten – Sekretäre oder Staatsminister. Dag Dagutorio war plötzlich nach Loh abgereist, und Rog Rogutorio hatte seinen Posten als Chuktar der Roten Bogenschützen übernommen. Der Erste Berater des Herrschers war neuerdings ein Kov, den ich nicht kannte, ein gewisser Layco Jhansi, Kov von Vennar. Seinen Namen sollte ich in der näheren Zukunft noch oft hören – zu meinem Bedauern, das muß ich hinzufügen –, damals aber galt er als Retter Vallias, als der Mann, der das Reich zusammenhalten würde, als rechte Hand des Herrschers.
Unwillkürlich dachte ich an Gafard, den Meeres-Zhantil, den Kämpfer des Königs, der weit entfernt von Vallia gestorben war, im liebevollen Gedenken an unsere Tochter Velia, und ich fragte mich, ob dieser Kov Layco in der Lage war, auch nur die Hälfte der Treue und des blinden Gehorsams aufzubringen, mit denen Gafard dem wahnsinnigen und genialen König Genod gedient hatte.
Wir gingen weiter, und die Gegenwart der Prinzessin Majestrix öffnete alle Türen. Trotzdem hatte ich den klaren und bestürzenden Eindruck, daß unsere kleine Gruppe hier im Palast eine Zelle der Verschwörung bildete. Sobald das Problem mit meiner Verbannung ausgeräumt war, hätten wir eigentlich freie Hand haben müssen. Doch noch immer hatte ich das Gefühl, als begingen wir eine Heimlichkeit. Dabei wollten wir nichts anderes als einen vertrauenswürdigen zweiten Arzt hinzuzuziehen, der sich den Herrscher ansehen sollte.
Sklaven gingen ihren üblichen Aufgaben nach. Nun erfuhr ich auch, daß die Bogenschützen-Garde, die ich aus Valka hatte schicken lassen, nach Eviz gesandt worden war, in die nördlichste Provinz Vallias, um dort einen Aufstand niederzuschlagen. Am liebsten hätte ich diese Männer jetzt um mich gehabt.
Die Stimmung im Palast verwirrte mich. Ich spürte die Niedergeschlagenheit, und zugleich hatte ich das Gefühl, als ob die schwere Aura des Terrors nicht einfach mit dem drohenden Tod des Herrschers zu erklären war. Die Interessengruppen würden kämpfen. Man würde töten und morden, plündern und brandschatzen. Doch das intensive, gespannte, zum Losbrechen bereite Schrecknis, das ich schon in der Luft des Palasts spürte, war eine so ungeheure Bedrohung, daß meine Hand instinktiv auf dem Rapiergriff lag, doch nicht nur spielerisch und locker, wie es am Hofe üblich war, sondern
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