Saga von Dray Prescot 19 - Jikaida-Zyklus 01 - Ein Leben für Kregen
sagte halb lachend: »Mein Liebling, laß mich einen Moment ausruhen!«
Lol zeigte sich sofort bestürzt und blieb stehen, und Thelda setzte sich in die Nische und kümmerte sich liebevoll um den Säugling. Ich stellte mich ein Stück weiter unten mit dem Rücken an die Wand, während Lol über ihr verharrte.
Thelda wollte sich unterhalten und fragte wieder nach dem Herrscher und seiner Armee. Ich sagte: »Thelda, du fandest dich plötzlich in Evir wieder. Was geschah dann?«
Wenn Thelda mit etwas Unerklärlichem konfrontiert wurde, neigte sie dazu, ihre Wahrnehmungen zu unterdrücken; sie hatte sich das Ereignis aus dem Gedächtnis gestrichen, als wäre es nie geschehen. Vom Heiligen Taufteich im fernen Aphrasöe war sie auf magische Weise in ihre Heimat Evir versetzt worden. Sie hatte sich sofort auf den Rückweg nach Falinur gemacht, wo ihr Mann Seg Segutorio Kov war – wenn auch rechtschaffen widerwillig. Sie war eben rechtzeitig eingetroffen, um in die Unruhen verwickelt zu werden.
»Ach, es war schrecklich, Dray! Die Brandschatzungen und Plünderungen und ...«
Mir entging natürlich nicht, daß Lol jedesmal zusammenzuckte, wenn Thelda meinen Namen aussprach. Obwohl ich ziemlich ausgeprägte Ansichten habe über protokollarische Idiotien, hat doch nicht jedermann Zutritt zu dem Kreis der Menschen, der mich bei meinem Vornamen nennen darf. Also Vorsicht! Und was Lol Polisto betraf, so war ihm klar geworden, daß ich als Majister angesprochen werden wollte. Um nun also eine Schwierigkeit zu übertünchen und einer zweiten ganz aus dem Weg zu gehen, sagte ich: »Thelda und ich sind alte Freunde, Lol. Und es liegt doch auf der Hand, daß sie von Jak dem Drang keine Ahnung hat.«
»Von wem?« fragte Thelda.
Lol wollte etwas sagen, doch ich war noch nicht fertig. Ich bat Thelda, uns den Rest zu erzählen, ehe wir weitereilten. Weiter unten an der Treppe wurden Geräusche laut. Und Thelda war zu plötzlich befreit worden, um ihren Schock schon überwunden zu haben. Außerdem wollte ich das Dach erkunden, ehe wir uns im Freien blicken ließen.
Im Kovnat Falinur, wo man sie und ihren Mann abgelehnt hatte, war sie nicht glücklich gewesen. Und wie das Schicksal so spielte, war Lol Polisto des Weges gekommen und hatte sie aus einer besonders unangenehmen Klemme befreit. Danach hatte die Natur ihren Lauf genommen. Sie glaubte fest daran, daß Seg nicht mehr lebte. Hochmütige Offiziere Layco Jhansis hatten ihr dies offenbart, ehe Lol sie ihnen entreißen konnte.
Das Unvermeidliche war geschehen, und sie kommentierte es mit einem einfachen: »Als ich ihn brauchte, war Seg nicht da.«
Bei Zair, das stimmte! Er hatte alle Hände voll damit zu tun, der Peitsche und den Ketten der Sklaverei zu entgehen, während eine verdammt große Wunde ihn plagte, die immer wieder aufbrach. Der jüngste Rückfall sollte nun ein für allemal verarztet werden, sonst wollte ich nicht mehr Dray Prescot heißen. Die Savanti nal Aphrasöe hatten durch ihr Geschöpf, Vanti vom Teich, dafür gesorgt, daß Seg nicht bei Thelda sein konnte, als sie ihn brauchte, denn er war in seine lohische Heimat Erthyrdrin zurückversetzt worden. Niemals hatte das Schicksal Menschen übler mitgespielt – und tatsächlich war hier von den Savanti das Schicksal ins Spiel gebracht worden.
Die Art und Weise, wie diese beiden sich anschauten, wie sie sich berührten, was sie sagten – dies alles verriet mir mit großer Klarheit, daß eine große Liebe sie verband. Nun ja, das war alles schön und gut. Ich wußte, daß Seg und Thelda einander sehr geliebt hatten. Oft wird behauptet, daß man mehr als einen Menschen gleichzeitig lieben kann; damit meine ich Liebe in der intimen, sexuellen Verbindung zwischen Mann und Frau. In Vallia galt die Monogamie, unabhängig von den exotischen Gebräuchen, die in anderen Teilen Kregens verbreitet sein mochten. Mehr als eine Person nacheinander zu lieben, das ist verständlich, sonst könnten Witwen und Witwer ihren Zustand niemals überwinden. Aber – gleichzeitig? Ich wußte es nicht. Hier stellte sich eine überaus schwierige Frage, die genau untersucht werden mußte. Absolute Liebe – nun die Bezeichnung allein zeigt doch schon, daß sie nur einem Menschen zugleich gewidmet sein kann. Oder nicht?
Zwar kannte ich Lol Polisto erst seit kurzem, doch glaubte ich ihn bereits als mutigen, aufrechten, ehrlichen Mann einschätzen zu können, der für die Dinge, die er liebte und an die er glaubte, zu kämpfen verstand.
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