Sagen aus Bayern
gute Ruhe.
So gefährlich es aber auch ist, dem wilden Jäger zu begegnen: es gibt doch FrevIer, die ihn und seine Hilfe sogar aufsuchen. Wer Freikugeln gießen will, der muß ihn dabei haben, denn nur sein Segen gibt den Kugeln die Gabe, niemals zu fehlen. Freilich tut er's nicht umsonst, aber wer nur der Gegenwart lebt, denkt nicht an die Zukunft.
Zu Orb gab es im Anfange des siebenzehnten Jahrhunderts einen Mann, der einen gottlosen Lebenswandel führte. Als Knabe war er hinter die Schule geschlichen, als Jüngling und Mann ging er der Arbeit aus dem Wege, aber desto fleißiger ins Wirtshaus. Er war nicht reich; das kleine ererbte Gut war bald durch die Gurgel gejagt und borgen mochte ihm niemand: er war nun gezwungen, auf irgendeinen Erwerb zu denken. Als Kriegsknecht hätte er ihn wohl finden mögen, denn der greuliche dreißigjährige Krieg verwüstete Deutschland schon seit Jahren und das Kriegsvolk führte eben auch kein erbaulicheres Leben, als er selber, aber der Kriegsdienst war ihm zu beschwerlich und gefährlich. Orb ist rings von großen Forsten eingeschlossen, die damals überreich an Wild waren; mit einiger Vorsicht konnte man schon einen Edelhirsch oder einen Rehbock gefahrlos erlangen – und der Mann ward ein Wildschütz.
Wenn man so in der Dämmerung auf ungebahnten Pfaden durch den Wald schleicht, lassen sich mancherlei Bekanntschaften machen. Der Mann mußte sie auch gemacht haben, denn bald verschoß er nur Freikugeln.
Nun lebte er mehrere Jahre in Saus und Braus. Ein einziger Schuß aus sicherer Ferne gab ihm täglich die Mittel, seinen Gelüsten zu frönen – und er tat das reichlich und kümmerte sich nichts darum, was nachkommen werde; ein Fluch war sein bestes Vaterunser.
Da kam das Jahr 1634 und mit ihm alles Unheil über Orb. Die Schweden überfielen die Stadt, plünderten sie und erschlugen, wer sich widersetzte. Die armen Einwohner litten an allem den bittersten Mangel – und im darauf folgenden Jahre wurden sie auch von der Pest heimgesucht. Diese wütete dergestalt, daß die Stadt bis auf 10 Familien und den Pfarreiverweser (der alte Pfarrer war kurz zuvor heimgegangen) ausstarb; die Leichen mehrten sich, daß sie nicht mehr in dem Friedhofe begraben werden konnten und haufenweise auf dem Marktplatze lagen; man beerdigte sie außerhalb der Stadt in einem Felde, das heute noch den Namen »Pestacker« führt: fast Tausend fanden hier ihr unbekanntes Grab.
Auch der Wildschütz wurde von der Pest befallen. Seine Verwandten sprachen ihm zu, sich den Pfarreiverweser rufen zu lassen und die Schrecken des herannahenden Todes bewogen ihn, in ihr Begehren zu willigen; als aber der Geistliche kam, fand er den Wildschützen in seiner Kammer erhenkt. Ob er es selbst in der Verzweiflung getan, ob der andere geholfen: wer kann es sagen?
Die letzten Bürger von Orb, die täglich morgens vor dem unteren Stadttore zusammenkamen und täglich weniger waren, trugen die Leiche des Wildschützen auf den Pestacker. Aber unterwegs schlugen auf einmal Flammen aus der Totenlade, daß die Träger voll Schrecken die Leiche fallen ließen. Sie fanden später den Sarg gänzlich verbrannt und den Leichnam allein auf dem Boden liegend und senkten ihn in die Erde; am Morgen darnach lag die Leiche wieder unbedeckt auf dem Acker und blieb da, bis sie ein Raub der Verwesung geworden.
Der wilde Jäger in dem Odenwieserwald
Es war vor vielen hundert Jahren ein Köhler in dem Odenwieserwald, der hatte eine einzige, schöne, tugendhafte Tochter Lili. Während ihr Vater bei dem Meiler saß, ging sie in den Wald, um Erdbeeren, das Lieblingsessen ihres Vaters, zu holen. Sie ging tief in den Wald und fand viele Beeren. Sie gelangte an einen Bach und sah unter einer großen Buche einen großen Mann mit blassem Gesichte, daneben sein kohlschwarzes Roß, seine Schweißbracken und seine Falken. Die Maid erschrak, verlor aber alle Furcht, als sie der fremde Ritter freundlich grüßte. Er verlangte Labung, und die schöne Maid reichte ihm ihren Korb mit den Erdbeeren. Darauf setzte er die Maid vor sich hin auf das Roß und trabte der Köhlerhütte zu. Der Köhler freute sich über den vornehmen Besuch, gewährte dem fremden Ritter Nachtlager, welcher mit Sonnenaufgang zärtlichen Abschied von der Lili nahm und wiederzukommen versprach. Die Jungfrau hatte aber einen Geliebten, der die Schafe ihres Vaters hütete. Wie sie sich wiedersahen, errötete Lili und war verwirrt. Der Hirt, vermeinend der Grund hiervon liege in
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