Sagen aus Bayern
übler Nachrede der Leute, tröstete sie mit der Versicherung, daß sie bald heiraten würden. Der Ritter kam nun öfter in die Köhlerhütte und gewann so die Gunst der Lili, daß sie des Schafhirten nicht mehr gedachte. Der Köhler war es zufrieden, daß Lili eine gnädige Frau werden sollte, und so vergingen den beiden mehrere Monde in süßer Minne. Den Schafhirten fand man zerrissen im Walde, niemand wußte von wem. Die Leute fürchteten die Köhlerhütte sehr, denn es stürmte und brauste da das wilde gjoad .
Lili konnte das lange Schweigen ihres Bräutigams über Herkommen und Stand nicht länger ertragen, und sie und ihr Vater drangen in ihn, sich zu entdecken. Zwar suchte der Ritter sie davon abzubringen, aber sie beharrten darauf. Am Abend vor Neujahr war die Hochzeit; da war ein großer Hofstaat, viele Ritter und Knappen in glänzenden Rüstungen waren zugegen, und es waren Turniere und allerlei Ritterspiele. Die schöne Braut Lili glänzte von eitel Gold und Edelsteinen. Der Ritter wollte seiner Braut erst in der Brautkammer eröffnen, wessen Standes und Abkommen er sei, und wo er Hof halte. Als nun die Stunde der Mitternacht nahte, da brach ein höllisches Wetter los; es blitzte und donnerte, und eine wilde Flamme schlug vom Himmel in die Köhlerhütte, aus deren Mitte der Bräutigam mit der Braut in schneeweißem Gewand auf seinem Rappen fuhr, und dann über die Waldbäume durch die Lüfte sauste. Der Wehruf der Maid ward noch lange gehört, bis er verklang. Von der Köhlerhütte war keine Spur mehr zu sehen, und auch der Köhler verbrannte, den Gott wegen seines Hochmutes strafte. Auf dem Platze, wo die Köhlerhütte stand, war noch vor mehreren Jahren ein Kreuz; da mochte abends niemand weilen. Die Lili sah man oft mit ihrem Korb roter Beeren bei der Buche an der Quelle sitzen, hörte sie klagen und singen mit lieblicher Stimme, und sie geht heutzutag noch.
Der wilde Jäger wurde nachher von Zeit zu Zeit gesehen, wie er in der Nacht bei Mondenschein mit der jammernden Lili auf dem schnaubenden Rappen, wie Sturmwind, durch die Lüfte brauste, und wer das wilde gjoad hört, der spricht den Namen Lili, den läßt es vorüber, und kann ihm nicht schaden.
Die blinde Jungfrau
Heut hat sich die blinde Jungfrau sehen lassen«, oder auch: »Heut hat sich die blinde Gerechtigkeit wieder sehen lassen«, hört man oft sagen. »Ist denn wieder das Buch herabgefallen?« fragt man dann, und die Antwort ist: »Es muß wohl so sein.« Die Geschichte ist folgende: Am alten Dom zu Bamberg, bei dem Prachttor, oben steht eine Jungfrau von Sandstein ausgehauen. In ihrer Rechten hält sie einen Stab, der ist zerbrochen, in ihrer linken Hand zehn Ziegel. Ihre steinernen Augen aber sind verbunden mit einem Tuche, wie's der Weber macht. Die Figur aber stellt eine Jungfrau vor, die einst öffentlicher Unzucht angeklagt und als schuldig erkannt wurde. Vergebens beteuerte sie ihre Unschuld; wohl mehr als zehnmal fiel sie nieder auf die Knie, rief Pfaff und Laie an, sie doch nicht schmachvoll sterben zu lassen durch Henkerhand; vergebens, man riß sie auf, und schleppte sie halbtot weiter. Als sie an den Dom gekommen war und zum alten Schloß, raffte sie sich noch mal auf, und rief, die Blicke gen Himmel: »Der Mensch hat kein Erbarmen mit meiner Unschuld, ihr Ziegel auf dem Dache habt's noch eher, so erbarmt ihr euch! « kaum hatte sie das gesprochen, fielen zehn Ziegel vom Dache und schlugen sie tot. Volk und Richter nahmen es als ein Himmelszeichen, und der Jungfrau Bildnis prangt an dem Orte, wo das Wunder geschehen ist. Der Bildhauer, der die Augenbinde vergaß, die das blinde Urteil sollte bedeuten, verband die Augen mit einem rechten Tuche, und so oft es durch das Wetter zu faulen anfängt, geht die Jungfrau wandeln. Um Mitternacht schwebt sie auf dem Domberg auf und nieder, und die Wachtposten haben nicht den Mut, sie anzurufen; sie schwebt dann weiter, und pocht an alle Domherrnwohnungen, jede Nacht es wiederholend, bis ihre Augen ein frisches Tuch bedeckt.
Die Burgruine Rabenschaichen bei Kempten
Wenn man auf der Straße von Kempten nach Memmingen das Anlehen Hirschdorf hinter sich hat, sieht man, etwa eine Viertelstunde Weges unterhalb dieses Dorfes, neben der Straße am nahen Waldsaum eine zerfallene Burgruine, über die junge Birken und Tannen emporragen. Daneben liegt ein Weiler, von mehreren zerstreuten Häusern gebildet, der bis auf den heutigen Tag den Namen von dieser Burg Rabenschaichen trägt. Hier hauste
Weitere Kostenlose Bücher