Sagen aus Franken
Augenblick waren Schlangen und Schlüssel verschwunden, und die Jungfrau stand allein und wehklagend vor dem betäubten Schäfer. Darauf hob sie eine Eichel vom Boden auf, stampfte diese mit den Füßen in die Erde und rief: »Ich pflanze diese Eichel, aus ihr wird ein gewaltiger Baum werden, den man dereinst fällen wird. Aus seinen Brettern wird eine Wiege gefertigt, in dieser Wiege wird ein Knäblein liegen, dieses Knäblein wird nach Jahren zum Jüngling heranreifen, und dann erst wird dieser Jüngling mich dereinst erlösen!«
Nach diesen klagenden Worten verschwand die Jungfrau. Der arme Schäfer aber stand wie vernichtet verlassen im Wald und dachte schmerzerfüllt an die unglückliche Jungfrau und an sein entschwundenes Glück. Oft hat er nachher seine Herde an dem Schönstein geweidet, aber die Jungfrau hat er, wie die Sage vom Schloß Schönstein berichtet, nie wiedergesehen.
Die Wette mit dem Teufel
Auf der Burg von Nürnberg steht ein alter, dicker Turm; er heißt der Heidenturm. In ihm stehen zwei Kapellen übereinander. Die untere finster und niedrig, mit dicken, schweren Sandsteinsäulen; die obere hell und freundlich, mit schlanken, hohen Marmorsäulen. Eine von den vier Marmorsäulen in der oberen Kapelle trägt einen sonderbaren Ring. Wie kommt der Ring an die Säule? War sie vielleicht einmal gesprungen, und musste der Sprung mit dem Ring überdeckt werden? Ja, so war es; aber das ist eine schreckliche Geschichte. Der Kaiser hatte sich eine Burg auf den Nürnberger Felsen gebaut. Die finstere, alte Kapelle gefiel ihm nicht. Sie hatte auch nicht genug Raum für seine Ritter und war für seine Diener; drum ließ er über die alte Kapelle eine neue, schönere, hellere, geräumigere bauen. Der Schlosskaplan bekam den Auftrag und den strengen Befehl, die neue Kapelle mit Marmorsäulen aufzurichten. Der Kaiser zog nach diesem Befehl in ferne Länder und verlangte zum Schluß noch, dass die Kapelle genau über ein Jahr fertig sei. Da wolle er mit dem Bischof das neue Gotteshaus festlich einweihen. Der Schlosskaplan ließ den besten Baumeister kommen, den er kannte, und beriet mit ihm den Plan.
Aber Marmorsäulen konnte der Baumeister nicht herbeischaffen. Die Wege waren zu schlecht, und in der Nähe waren weit und breit keine Marmorsäulen aufzutreiben. Das Jahr ging dahin, das Gebäude der Kapelle war fertig gestellt; das Gewölbe trug sich selbst, so kunstvoll hatte der Baumeister es gebaut Der Altar war aufgerichtet, die Fenster, die Emporen, die Bänke mit kunstvollen Verzierungen versehen. Aber die Säulen fehlten immer noch.
Einige Tage vor der festgesetzten Einweihung der Kapelle fiel dem Schlosskaplan die Sorge schwer aufs Herz. Der Kaiser hatte seine Ankunft von Regensburg her durch einen reitenden Boten angesagt und hatte mitteilen lassen, dass er den Bischof zur Weihe gleich mitbringe. Er hoffe, dass die Kapelle schön geworden sei, und dass besonders die bestellten Marmorsäulen das neue Gotteshaus prächtig ausschmückten. Der Kaplan fürchtete den Zorn des Kaisers. Unruhig ging er die Treppen der Burg auf und ab, irrte durch den Burghof oder sah vom Turm hinüber über die Wälder in die Richtung, aus der Zug des Kaisers zu erwarten war. Woher sollte er die Marmorsäulen nehmen? Was würde der Kaiser sagen, wenn die gewünschten Säulen fehlten? Solche Gedanken ließen ihn nicht mehr los und verfolgten ihn bis in den Schlaf hinein. Ein ungeheurere Donnerschlag weckte ihn. Verstört fuhr er in die Höhe. Er sah aber nichts Besonderes: nur drüben in der Ecke stand ein Mann bescheiden an der Wand. Er trug das Kleid eines Baumeisters. Seinen grossen Hut hatte er in der Hand, trat auf den Kaplan, der wieder in sein Bett zurück gesunken war, zu und sagte: »Deine Sorgen kennt ich genau. Ich will dir die vier Marmorsäulen noch heute aus Rom herschaffen, wenn du willst.« »Ich kenn dich, du bist der Teufel. Mit dir will ich nichts zu tun haben«, schrie der erschreckte Kaplan. Der Baumeister blieb eine Weile ruhig. Dann aber trat er näher heran und sagte leise: »Kaplan, du bist doch ein gescheiter, studierter Mann. Du kannst eine Messe lesen wie Wasser; du brauchst nicht länger als eine 1/4 Stunde dazu.« Trotz alles Schreckens schmunzelte der Kaplan geschmeichelt. Der Baumeister aber fuhr fort: »Ich will mit dir eine Wette machen. Bis du fertig bist mit dem Lesen der Messe, will ich dir die vier Säulen aus Rom über die Berge herschaffen. Wenn du in der Zeit, in der ich die vier
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