Sagen aus Niederösterreich
Jahr auf Jahr, und der Tod ließ sich nicht mehr blicken. Der Hoisl war steinalt geworden, hatte einen schneeweißen Kopf bekommen und ging gebeugt, aber frisch und lebensfroh durch seine Felder und Weingärten, vom Sterben war keine Rede. Aber auch die andern Leute starben nicht Es wimmelte überall von Menschen. Korn und Wein wurden zu wenig, sogar das Wasser reichte nicht mehr; es war wirklich, als ob das ewige Leben auf Erden eingekehrt wäre.
Endlich aber drang die Kunde von der schlauen Tat des Hoisl und den unabsehbaren Folgen, die daraus den Erdenkindern erwuchsen, bis in den Himmel hinauf. Eilig sandte der liebe Gott seinen Engel in den Keller des Bauern, damit er den Tod aus seinem Gefängnis befreie. Aufatmend kroch der aus dem finsteren Loch, wo er so lange eingesperrt war. Nun aber gab es Arbeit über Arbeit für den Sensenmann, der eifrig trachtete, das Versäumte nachzuholen. Seuchen brachen aus, und die Leute starben dahin wie die Fliegen; nur der alte Hoisl blieb verschont Aber die Beschwerden des Alters machten sich geltend, er fiel anderen und sich selbst zur Last und konnte den Tod nicht finden, sosehr ihn auch danach verlangte. Rastlos wandert er auch heutigentags noch auf der Welt umher und wartet mit heißer Sehnsucht auf die Stunde, in der der Tod alles heimholen wird, was da lebt auf Erden.
Der Türkensturz bei Seebenstein
Im Jahre 1532 waren die Türken aufs neue in Ungarn eingefallen und weit ins Land vorgedrungen. Während ihre Hauptmacht die Festung Güns belagerte, brachen vereinzelte Horden auch in Österreich ein und gelangten auf ihren Raubzügen bis ins Pittental. Doch die Bauern von Seebenstein und Gleißenfeld taten sich zusammen, bewaffneten sich mit allerlei Handwerksgerät und griffen die plündernden Scharen mit dem Mut der Verzweiflung an. Es gelang ihnen auch, die Feinde zu zersprengen und aus dem Tal zu vertreiben.
Ein kleiner Trupp der Türken war dabei in den Wald oberhalb Seebensteins geraten und suchte sich auf versteckten Wegen der Rachsucht der zornigen Landwirte zu entziehen. Da sah der Anführer der feindlichen Schar auf dem Weg vor ihm die lichte Erscheinung einer Frauengestalt. Voll Zorn über den letzten Mißerfolg und in der Erwartung, hier leichte Beute zu finden, forderte der türkische Hauptmann seine Untergebenen auf, mit ihm dem Mädchen nachzujagen und es gefangenzunehmen. Lüstern und gierig eilten die Türken der Erscheinung nach, die vor ihnen floh, bis sie den Rand eines steilen Abgrundes erreicht hatten. Hier sprang die Heilige Jungfrau Maria – denn sie war es, die den Ungläubigen zum Verderben erschienen war – plötzlich zur Seite, während die Türken, blindlings weiterrennend, in die Tiefe stürzten, wo sie zerschmettert liegenblieben. Nur ein Mann blieb an einem Baum hängen und kam auf diese Weise mit dem Leben davon. Als man ihn gefangen vor den Anführer der Bauern brachte, erzählte er, wie die überirdische Erscheinung ihre Sinne verblendet und sie in den Tod geführt habe, dem er nur wie durch ein Wunder entronnen sei, während ein fürchterliches Unwetter tobte.
Die steile Felswand heißt seit dieser Zeit der »Türkensturz«.
Der Wankelstein bei Zelking
Im Tal der Melk, etwa zwei Gehstunden vom Städchen Melk entfernt, erhebt sich an den bewaldeten Hängen des Hiesberges die malerische Burgruine Zelking. Hier herrschte um die Mitte des 14. Jahrhunderts reges Leben. Herr Albero aus dem angesehenen Rittergeschlecht der Zelkinger, war sich der Macht seines Hauses wohl bewußt und wollte dies der übrigen Ritterschaft und allen Besuchern seiner Burg höchst sinnfällig dadurch zum Ausdruck bringen, daß er sich einen Leibdiener von ungewöhnlicher Körperstärke beschaffte. Er ließ daher an die Söhne seiner Untertanen eine Aufforderung ergehen, sich im Schloß einzufinden und Proben ihrer Kraft zu geben; der stärkste von ihnen solle in seine Dienste treten.
Der Hof der Burg Zelking wurde zum Schauplatz dieser Kraftübungen ausersehen, und viele junge Burschen fanden sich ein, um ein Zeugnis ihrer Stärke abzulegen. Da konnte man gar kräftige junge Männer sehen, und vielerlei absonderliche Kraftproben versetzten die anwesenden Herren und Damen in Erstaunen. So war einer unter den Bewerbern, der warf ein Zentnergewicht dreimannshoch in die Luft, aber schon der nächste vermochte ihn zu übertreffen, indem er es sogar noch höher schleuderte. Einer hob ein Pferd vom Boden auf, ein anderer rückte einen vollbeladenen Wagen von der
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