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Sagen des klassischen Altertums

Sagen des klassischen Altertums

Titel: Sagen des klassischen Altertums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustav Schwab
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Dem ruhmgekrönten Befreier gab der dankbare Pandion seine Tochter Prokne zur Gattin. Aber nicht Hymenäos, der bräutliche Gott, nicht Hera, die Schutzgöttin der Ehe, nicht die holdseligen Grazien nahten dem Hochzeitsgemache; die schrecklichen Erinnyen schwenkten die düstern Fackeln, die sie von einem Leichenbegängnis geraubt hatten; der unheilkündende Uhu saß auf dem Giebel des Hauses, in welchem Tereus und Prokne Hochzeit hielten. Freilich zogen die jungen Gatten frohgemut über die Meereswogen, den Göttern dankend, und wurden von den Thrakiern jubelnd empfangen. Und als Prokne einem Sohne, dem Itys, das Leben schenkte, da ward der Tag in ganz Thrakien festlich gefeiert.
    Fünf Jahre waren vergangen; da ergriff Proknen, die sich im Barbarenlande fern von der lieben Heimat oft gar einsam fühlte, eine unendliche Sehnsucht nach Philomela, ihrer einzigen Schwester. Sie ging zu ihrem Gemahle und sprach: »Wenn du mich noch ein wenig liebst, so sende mich nach Athen, daß ich die teure Schwester hieher hole, oder reise du selbst und bringe sie mir, wenn auch nur auf kurze Zeit, zum Besuch. Eine göttliche Gnade wird mir's scheinen, wenn ich ihr trautes Antlitz wieder schauen darf.
    Versprich dem Vater, sie bald zurückzuführen; denn zärtlich liebt er die Tochter und wird sie nicht lange vermissen wollen.« Tereus ließ sich leicht erbitten und fuhr zu Schiffe gen Athen. Bald gelangte er in den Hafen Piräus, wo sein Schwäher ihn bewillkommnete. Schon als sie Hand in Hand nach der Stadt wandelten, begann Tereus die unheilvolle Bitte vorzubringen und gelobte dem Könige, daß er für Philomelas baldige Heimkehr sorgen werde. Siehe, da nahte sie selbst; im Schmuck strahlender Schönheit, einer lieblichen Nymphe nicht unähnlich, kam sie herbeigeeilt, den Schwager zu begrüßen und tausend Fragen nach der fernen Schwester zu tun. Kaum aber ward Tereus die reizende Jungfrau gewahr, da entbrannte sein Herz von stürmischer Liebe zu ihr, so wie die Flamme das geschichtete Heu und die dürren Dachsparren ergreift und verzehrt. Rasch war sein Entschluß gefaßt, um jeden Preis Philomela zu entführen, sei es im Guten oder mit Gewalt. Während so zügellose Leidenschaft im Busen des Barbaren wogte, hub er wieder an, von den Wünschen der Prokne zu sprechen, sie sterbe vor Sehnsucht nach der Schwester, um seiner Gattin willen flehe er. Der Schändliche! Während er ruchlose Pläne brütete, schien er ein zärtlicher Ehemann, so daß selbst Pandion seinen Eifer lobte. Ja, auch Philomela ward betört; kosend schlang sie die Arme um des Vaters Nacken und flehte ihn unermüdlich, ihr die Reise zu gestatten. So ward der Greis von den vereinten Bitten der beiden endlich besiegt und gab seine Einwilligung, obwohl mit schwerem Herzen.
    Philomela aber dankte ihm voll Entzücken, und nun gingen die drei in den Königspalast, sich an köstlichem Wein und trefflichen Speisen zu erquicken. Dann, als die Sonne längst hinter den Horizont gesunken war, trennten sie sich, um der Ruhe zu pflegen.
    Der Morgen erschien. Beim Abschied drückte der ehrwürdige Pandion die Hand des Schwiegersohnes und sprach, während heiße Tränen über seine Wangen rollten: »Mein teurer Sohn, nur weil zärtliche Liebe mich zwingt und ihr alle es wünschet, vertraue ich dir mein Liebstes an, die traute Tochter. Nun beschwöre ich dich bei deiner Ehre und unsrer Verwandtschaft, bei den unsterblichen Göttern flehe ich dich an, beschütze sie wie ein liebevoller Vater und sende sie mir bald zurück. Ach, sie ist der süßeste Trost meines vielfach leidvollen Alters.« So sprach er und küßte das geliebte Kind mit Inbrunst. Darauf forderte er von beiden die Hand zum Zeichen der Treue, trug ihnen herzliche Grüße an Tochter und Enkel auf, rief noch einmal mit schluchzender Stimme Lebewohl und blieb allein am Ufer zurück. Vom Ruderschlag rauschten die Wogen, das Schiff fuhr mit vollen Segeln in die offene See hinaus. Kaum konnte Tereus sich enthalten, laut aufzujauchzen vor wilder Lust, daß sein Plan gelungen sei. ›Mein ist der Sieg! ‹ rief er im Herzen und betrachtete die Arglose mit funkelndem Blicke. So blitzt des gierigen Adlers Auge, wenn er den zappelnden Hasen aus den krummen Klauen in sein hohes Felsennest niederwirft, aus dem keine Flucht möglich ist.
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    Gustav Schwab – Sagen des klassischen Altertums
    Bald zeigten sich die Gestade Thrakiens, die Schiffer lenkten zum sichern Hafen und sprangen ans Land; ermüdet von der Fahrt, eilte jeder

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