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Sagen des klassischen Altertums

Sagen des klassischen Altertums

Titel: Sagen des klassischen Altertums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustav Schwab
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waren ihr verhaßt. Kephalos aber ward von bittrer Reue ergriffen; er sagte sich selbst, daß er schändlich und unwürdig gehandelt, und heiße Sehnsucht nach der Geliebten zehrte an seinem Herzen. Ach, auch sie konnte die alte Liebe nicht vergessen.
    Als Artemis einst die bevorzugte Genossin mit einem nie fehlenden Wurfspieß und dem berühmten, windschnellen Hunde Lälaps beschenkt hatte, kehrte Prokris samt den Wundergaben nach Athen zurück, verzieh dem reuigen Gatten von Herzen gern und lebte mit ihm selige Jahre der Eintracht und innigster Liebe. Hund und Wurfspieß, deren sie nun nicht mehr bedurfte, schenkte sie ihm gleichsam als Morgengabe zur zweiten Vermählung2.
    Das Glück der beiden zärtlichen Gatten dauerte einige Jahre, aber ein trauriges Ende war ihm beschieden. Wenn früh die Dämmerung am Himmel aufstieg, pflegte Kephalos als rüstiger Jäger sich vom Lager zu erheben und in den waldigen Bergen dem Weidwerk obzuliegen; ohne Diener, ohne Roß und Hunde zog er hinaus. Wenn er nun erwünschte Beute gemacht hatte, so suchte er erquickenden Schatten und rief, ermüdet und heiß von der Jagd, die kühle Luft an, daß sie mit labendem Hauch die glühenden Schläfen ihm umfächle. »Komm, liebliche Aura« – denn Aura nannte der Grieche den frischen Morgenwind 1 Eine verwandte, minder grausige Sage lautet folgendermaßen: Aedon, die Gemahlin des Thebanischen Königs Zethos, war neidisch auf das Mutterglück ihrer Schwägerin Niobe, denn diese hatte sechs Söhne und sechs Töchter, sie selbst aber nur ein einziges Kind, den Itys. Von grimmiger Eifersucht bewegt, schlich sie bei Nacht in das Gemach, wo ein Sohn der Niobe mit Itys zusammen lag, und ermordete – statt des Niobesohnes – ihr eigenes Kind. Als sie am nächsten Morgen ihre Tat entdeckte, faßte sie namenlose Verzweiflung. Die Götter aber fühlten Mitleid mit der unglücklichen Mutter und verwandelten sie in eine Nachtigall. Nun sitzt sie, wenn der Frühling kommt, im dichten Laube und klagt mit melodischer Stimme um das geliebte Kind, das sie selber ermordet hat. »Itys, Itys!« ruft sie unzählige Male.
    2 Damals wurden die Thebaner durch den teumessischen Fuchs, ein bösartiges, von dem erzürnten Bakchos gesandtes Tier, geplagt. Diesem mußte jeden Monat ein Knabe zum Fraß gegeben werden. Der König von Theben, Kreon, und der aus Argos eingewanderte Amphitryon wandten sich an Kephalos, daß er ihnen beistehe, den Fuchs zu jagen, der so flink war, daß er von niemand erreicht werden konnte. So verfolgte denn der unentrinnbare Hund Lälaps den unerreichbaren teumessischen Fuchs, eine ewige Jagd, der Zeus dadurch ein Ende machte, daß er beide Tiere in Stein verwandelte.
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    Gustav Schwab – Sagen des klassischen Altertums
    –, »komm, du Freundliche«, rief er oftmals, »erquicke und stärke mich! Laß den Verschmachtenden deinen süßen Hauch einatmen, du Holde!« Dies vernahm einst ein Horcher; getäuscht vom doppelsinnigen Wort, glaubte er, Kephalos rufe die Nymphe des Ortes, mit der er heimlich im Walde sich zu treffen pflege. Eilends ging der Unbesonnene zu Prokris und vertraute ihr alles, was er gehört hatte. Leicht läßt die Liebe sich täuschen. Prokris sank ohnmächtig zu Boden, von Herzensjammer überwältigt, und als sie wieder zur Besinnung kam, schluchzte und weinte sie um ihres Gatten Verrat. ›Aura also heißt die Nebenbuhlerin, die das zärtlichste Herz betört hat! Aber‹, so dachte die Gute, ›nicht ungesehen will ich den Geliebten verdammen; vielleicht ist der Unglücksbote getäuscht, oder er täuscht mich selbst mit falschem Bericht.‹ So von Zweifeln, Schmerz und Hoffnung bestürmt, nahm sie sich vor, selber den Gemahl zu belauschen.
    Am andern Morgen zog Kephalos wie immer hinaus, streckte sich nach vollendeter Jagd in den Rasen und sang: »Komm, du freundliche Aura, erquicke den Müden!« Aber plötzlich brach er ab, – es raschelte im nahen Gebüsch. Gewiß ist es ein Reh, das durch das Dickicht leise dahinhüpft; schnell springt er auf, schleudert den niemals fehlenden Speer und trifft – ach, die zärtliche Gattin. »Weh mir!« stöhnte die Arme und preßte die Hand auf die todwunde Brust. Kaum erkannte Kephalos die geliebte Stimme, so stürzte er wie wahnsinnig nach der Stelle hin, wo seine treue Prokris in ihrem Blute lag. Umsonst zerriß er jammernd sein Gewand, die schreckliche Wunde zu verbinden. Der Getroffenen schwanden die Kräfte, und mühsam mit flüsternder Stimme sprach sie: »Grausamer,

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