Sagen und Märchen Altindiens
Nala; die Wangen röteten sich verschämt, und die Herzen schlugen schneller.
Damayanti mochte wohl ahnen, wer vor ihr stand, und fragte frohen Herzens: »Wer bist du, Strahlender, der meine Pulse fliegen macht? Bist du ein Gott, daß du trotz aller Wachen ins Frauenhaus findest?«
»Ich bin König Nala und komme als Götterbote, so fand ich Einlaß: Indra, Agni, Varuna und Yama werben um dich, holde Jungfrau; wähle einen der vier Welthüter zum Gatten! Ich habe gesprochen, nun tu' nach deinem Sinn, zu deinem Heil!«
Als Damayanti von der Werbung der Götter hörte, neigte sie sich in Demut und traurig; als sie aber in Nalas Augen sah, ward sie wieder froh, schüttelte das Köpfchen und sprach:
»Die Götter bete ich an – dich liebe ich, Nala! und wenn du mich nicht erhörst, so muß ich sterben vor Scham und Herzeleid!« Ernst sprach König Nala:
»Nicht eigne Sache führe ich heute, mein Herz muß schweigen, bis mein Amt erfüllt! Als Götterbote frag' ich dich: Wer kann versagen, wo Indra wirbt, der Held der Helden, der Wolkenspalter, Sieger, Gott der Götter! Wo Agni freit, der Opfernehmer, der milde Freund, der Schirmer des Heims, und Varuna, der Herr der Meere, der mit den Perlen spielt? Wer schlägt Yama aus, der vom Leid erlöst und den Himmel öffnet?« Luftraumbezwinger, Feuerbeherrscher, Wassergebieter, des Irdischen Herr! – Wähle du, Weib! – Ich muß gehorchen.«
»Du kennst deine Pflicht«, sprach Damayanti, »und ich die meine: Der Zorn der Götter darf dich nicht treffen! Sage den Unsterblichen: Wenn alle Fürsten zur Feier versammelt sind, wird Damayanti wählen! – und in der Götter Gegenwart will ich dich wählen, Makelloser!« Und errötend schlüpfte die Schöne aus dem Saal.
Da ging Nala zu den Göttern und sagte ihnen alles. Sie dankten dem worttreuen Wahrheitsfreund und entbanden ihn seiner Botenpflicht.
König Bhimas Hausbrahmane hatte einstweilen die Zeichen erforscht, Mond und Sterne befragt und die günstigste Stunde für die Gattenwahl bestimmt.
Da kamen alle die fürstlichen Gäste zur großen, säulengetragenen Halle im Königspalast von Widharba. Schöne und starke Männer, in reichen, bunten Gewändern, mit Gold und Edelsteinen auf der Brust und in den Ohren und ihren guten Waffen in den Händen! Reichbekränzt zogen sie durch die Ehrenpforte ein und lagerten sich auf Pfühlen und Stühlen.
Als Damayanti, schüchtern und stolz, erschien, schlugen ihr alle Herzen entgegen, und jeder freute sich des holden Anblickes. Sie aber schaute nur flüchtig über die Helden hin: ihr Auge suchte König Nala.
Doch wie erschrak sie: Der Geliebte, den sie gesucht, stand hier und dort und wieder da – fünf Gestalten zählte sie, die König Nala glichen. Wie sollte sie den Rechten wählen? Ängstlich spähte sie nach den Götterzeichen – umsonst! es waren lauter Menschen, liebe Menschen, aber Menschen, die sich nicht im Kleinsten unterschieden. Und in der Not ihres Herzens beschloß sie, bei den Göttern Hilfe zu suchen. Demütig faltete sie die Hände und betete zitternd:
»Ihr Himmlischen, zeigt mir König Nala! So wahr ich keines anderen Mannes gedachte, seit mir der Schwan von Nala gesprochen, so innig seid gebeten: zeigt mir König Nala! So wahr die Götter selbst mir Nala zum Gatten bestimmten, so heiß seid beschworen: zeigt mir König Nala! So wahr ich Nala ehren will als meinen Gatten und ihn ewig nie mit Willen kränken, so klar mögt ihr Himmlischen in eurem Glanz erscheinen, daß ich erkennen kann meinen Nala, den Gebieter und Herrn!«
Die einfältige Treue der lieblichen Jungfrau rührte die Götter und sie erfüllten ihre Bitte:
Schattenlos standen sie über dem Boden, schweißlos und staublos, strahlenden Blickes, und ihre Kränze blühten wie am Strauch.
Nala dagegen stand fest auf dem Boden, schattenwerfend, Schweiß und Staub auf der Stirn, im Sonnenlicht blinzelnd, und sein Kranz begann zu welken.
Da ergriff Damayanti den Saum seines Kleides und legte dem Helden ihr Blumengewinde ums Haupt: sie hatte den Gatten gewählt!
Tosender Jubel scholl durch die Halle, und alle priesen den Nischader glücklich.
König Nala aber gelobte, sein Weib zu lieben, zu ehren und es nie zu verlassen.
Als nun die Hochzeit gefeiert wurde, und das Brautpaar Hand in Hand das Hausfeuer feierlich rechtshin umwandelt hatte, da beschenkten die Götter es reichlich; Damayanti verhießen sie zwei schöne Kindlein, und dem Nischader verlieh Indra ein helles Auge, das die Gottheit
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