Sagen und Märchen Altindiens
beim Opfer leibhaftig sieht, und den stets aufrechten Gang, selbst wenn er durch Mauern schritte.
Agni gab ihm Gewalt über das Feuer, und Varuna über das Wasser, Yama aber die Kunst, gar köstliche Speisen zu bereiten. Segen und Schutz verhießen die Götter Nalas Haus, solang er die Opferbräuche achte. Nachdem sie das Paar so beglückt hatten, nahmen sie Abschied, um nach dem Himmel zurückzukehren.
Vor dem Tor von Kundina begegneten sie Kali und Dwapara. Kali war der leibhaftige Böse, den man »Spielteufel« nennen kann, denn das Würfelspiel war damals das ärgste und meist verbreitete Laster im Lande. Dwapara, das heißt »Fehlwurf«, war ein dienender Geist Kalis.
Die Welthüter hielten sie an und fragten: »Wohin des Weges?«
»Zu Damayantis Gattenwahl,« lachte Kali, »ich will mich unter die Bewerber mischen. Hat doch schon manches schöne Weib den leibhaftigen Teufel gewählt. Vielleicht habe ich Glück, ich liebe sie schon lange.«
»Du kommst zu spät, dummer Teufel!« lachte Indra dagegen; »die Gattenwahl ist längst vorüber, und Damayanti hat vor uns den Nischaderkönig Nala gewählt.«
»Vor euch? daß dich –!« brummte Kali; »das soll sie büßen, daß sie den Sterblichen einem Unsterblichen vorgezogen hat!«
»Wir hatten es ihr erlaubt, denn Nala glänzt vor den Männern, wie Damayanti vor den Frauen. Er ist ein tapferer und weiser Fürst, hält strenge alle Vorschriften der heiligen Bücher, spendet Opfer, daß alle Unsterblichen in seinem Hause satt werden, und ist ein Vorbild der Treue, Wahrhaftigkeit und Rechtschaffenheit. Und wer es sich, trotz seiner Frömmigkeit einfallen ließe, ihn zu quälen, Kali, der möcht' es wohl am eignen Leibe büßen, Kali! und müßt' im tiefsten Höllenpfuhle enden!«
Also sprach Indra, mit gerunzelter Braue, und die vier Welthüter setzten ihre Fahrt fort.
»Eine derbe Lektion!« zischte Kali, »aber euer Affe soll es mir büßen! Dwapara, du mußt ihm in die Würfel fahren, wenn ich ihn je zum Spielen bringen kann!«
Und von der Stund' an hefteten sich die beiden unsichtbar an des Nischaders Fersen.
Die Neuvermählten hatten die Festwochen im gastfreien Palaste König Bhimas verbracht und waren sodann mit dem Segen der Eltern nach Nischada gezogen. Dort empfing sie des Volkes Jubel ob der schönen Königin.
Frieden und Glück herrschten im Reich, die Opferfeuer brannten reichlich und des Himmels Segen ruhte auf allen durch manches Jahr.
Eines Abends begab es sich, daß der König vom Weihwasser nippte, aber der vorgeschriebenen Fußwaschung vergaß.
Da gewann Kali Macht über ihn und fuhr in den Vergeßlichen.
Als Puschkara, des Königs Bruder, ihn am andern Tage zum Würfeln aufforderte, da konnte der vom Spielteufel Besessene nicht widerstehen.
Und Dwapara, der Fehlwurf, beherrschte seine Würfel!
Als es Mittag ward, hatte Nala all sein Gold verspielt und würfelte weiter.
Der Hausbrahmane warnte ihn, doch er predigte tauben Ohren!
Und als es Abend war, hatte Nala Haus und Hof, Rosse und Sklaven verspielt und würfelte weiter.
Warschneja kam, der Treue, an der Spitze des Volkes und bat den Unseligen, vom Spiele zu lassen. Der König hörte ihn nicht!
Und als es Mitternacht ward, da hatte er das Reich verspielt an seinen Bruder Puschkara.
Damayanti kam und flehte ihn an, doch jetzt vom Spiele zu lassen und mit ihr und den Kindern zu Bhima zu fliehen. Doch des Königs Ohr blieb verschlossen!
Da nahm sie Warschneja beiseite und sandte ihn mit ihren Kindern nach Kundina. Dann setzte sie sich zu ihrem Gatten.
Und als der Morgen dämmerte, da hatte Nala seine Waffen verspielt, bis auf ein schlechtes Messer, und alle Kleider, bis auf einen alten Mantel.
»Jetzt«, rief Puschkara, »soll es Damayanti gelten!« Da erwachte der Unglückliche, legte Stück um Stück die Waffen, Schmuck und Kleider von sich, und ging mit Damayanti und den Resten seiner Habe ins Elend.
Warschneja brachte die Kinder zu den Großeltern und zog dann nach Ajodhia, wo er beim Kosalerkönig Rituparna Wagenlenker wurde.
Nala und Damayanti wanderten im Wald und aßen Wurzeln und Beeren. Als sich ein Schwarm Vögel vor ihnen niederließ, warf Nala seinen Mantel wie ein Netz darüber, um einige zu fangen. Da flogen sie mit dem Mantel davon und krächzten:
Würfel sind wir! unser Neid
Raubt dir auch das letzte Kleid.
Würfel nehmen alles!
Wär' ein König noch so groß,
Würfelaugen sehn ihn bloß.
Würfel nehmen alles!
Reich und Schwert und was einst
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