Sagen und Märchen Altindiens
Mitkämpfer, der berufene Sänger seiner Heldentaten.
Nala und Warschneja lagerten sich am Ufer eines romantischen Weihers, und der liederkundige Rosselenker kürzte seinem königlichen Freund die Zeit durch die folgende Erzählung:
»In Widarbha, dem großen Reiche, herrscht heute noch der greise König Bhima, der der Schrecken seiner Feinde heißt. Vor vielen Sommern hat er Opfer um Opfer gebracht, daß der Himmel ihm Kinder schenke, denn, wie du weißt, o Herr, öffnet nur das Gebet des eigenen Kindes den lichten Himmel Yamas. Lange flehte er vergeblich, doch ward er nicht müde im Opferdienst und hoffte auf die dreiunddreißig Götter. Einst kam ein Büßer aus dem heiligen Hain zu Bhima. König und Königin empfingen ihn an der Pforte, in demütigem Gruß die Hände faltend. Bhima führte ihn nach dem Ehrensitze und bot ihm Fußwasser; die Königin brachte die gastliche Spende: den gewürzten Reis und einen Trunk klaren Wassers. Dann saßen sie zu seinen Füßen und lauschten seinen weisen Reden.
Der heilige Mann war über die ehrerbietige Gastfreundschaft erfreut, und seiner Fürsprache beim Herrn der Welt dankten sie den heiß ersehnten Segen: Drei Knäblein schenkte die Königin ihrem Gatten und ein holdes Mägdlein. Zu Helden sind die Knaben herangewachsen, und Damayanti, König Bhimas Tochter, ist die schönste Jungfrau auf Erden: Glanzlockig und zartgliedrig steht sie inmitten ihrer hundert Gespielinnen, wie der Mond unter den Abendwolken, nur Lakschmi, der meerentstiegenen Göttin des Glückes, zu vergleichen, die noch keines Sterblichen Auge gesehen. Fröhlichen Sinnes ist sie, und ihr Lachen klingt wie die Stimme des Bergquells; wie Edelsteine blitzen ihre Mandelaugen unter den schönen Brauen, und ihre Wangen sind wie Blumenblätter ...«
»Sieh, König!« unterbrach sich Warschneja, »der goldflügelige Schwan, der sich uns naht, wär' eine Beute, des königlichen Jägers würdig!«
»Laß nur den Schwan,« sprach sinnend der König, »und sprich mir von Damayanti, denn ich liebe das holde Kind, seit ich von ihm gehört!«
»Dank! König Nala, daß dein todbringender Pfeil mich verschont!« rief der Schwan über das Wasser. »Ich will dir's lohnen: zu Damayanti flieg' ich nun und will ihr von König Nala singen und sagen, bis sie dich liebt, wie du sie!« Und auf flog der Goldflügler vom Wasser und strich in langen Zügen gegen Widharba. Nala aber wurde nicht müde, von Damayanti zu hören und zu sinnen, wie er sie erwerbe.
Zu Kundina, der Hauptstadt Widharbas, ergötzte sich Damayanti mit ihren Gespielinnen im Garten des königlichen Palastes. Als eine Schar von Wasservögeln nach dem Teiche strich, liefen alle hin, um sie mit Brot und Früchten zu füttern, im Spiele zu haschen und sich an ihrer Schönheit zu erfreuen. Der Führer der Vögel aber, ein goldflügeliger Schwan, schwamm zu Damayanti und sprach mit menschlicher Stimme:
»Damayanti! In Nischada herrscht König Nala, den man den Makellosen nennt. Er ist der schönste der schwerttragenden Männer, ihr Klügster und Tapferster! Strahlend wie die Reiter des Morgenrotes, stark wie der Tiger, des Waldes König, und weise wie ein Heiliger. Dir gilt, all sein Denken, denn er entbrannte in Liebe zu dir, als er von deiner Anmut gehört, und schreitet nun über die Erde wie die fleischgewordene Liebe. Niemand ist ihm zu vergleichen: kein Mensch und keiner der himmlischen Spielleute, kein Genius und kein verführerischer Teufel. Er ist der Diamant der Mannheit, wie du die Perle der Frauen bist. Wir Luftdurchsegler wissen es, denn wir kennen alle Geschöpfe Gottes. Wenn er dein Gatte würde: das Köstlichste zum Köstlichsten käme, dann erst wäre die Welt vollkommen!«
Als der Schwan wieder aufflog, winkte ihm die Blume von Widharba und rief errötend: »Grüß' König Nala!«
Und sinnend ging sie vor ihren Frauen ins Haus; das sehnsuchtbefiederte Blütengeschoß Kamas, des Liebesgottes, hatte über weite Lande hin getroffen. Tag und Nacht trug die Lotusäugige ein heißes Sehnen im Herzen und lernte Lust und Qual der Liebe kennen. Wenn die Mädchen sich in fröhlichem Reigen auf dem Anger schwangen, sah sie nach den jagenden Wolken und seufzte; wenn alle lachten, so weinte sie; wenn alles schlief, sah sie in die Nacht hinaus und bat jede Sternschnuppe: Grüß' König Nala! Ihre Gespielinnen sahen sie immer bleicher werden und hörten nicht mehr ihr fröhliches Lachen.
Da lief die kluge Kesini, Damayantis Gürtelmagd, zu König Bhima und
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