Sagen und Märchen Altindiens
Heiligkeit mitzuteilen, denn sie wären allesamt Sünder und darum ewig von den Stärkeren verfolgt. Der scheinheilige Kater aber stellte sich ganz ermattet von der Strenge seiner Bußübungen und bat, ihn in seine Höhle zu tragen: dort wolle er den Schatz seiner Buße an die unschuldig verfolgten Kleinen verteilen, daß sie hinfort in Frieden leben könnten.
Da drängten sich Vöglein und Mäuschen um den falschen Heiligen, und auf ihren hundert und aberhundert winzigen Schultern trugen sie ihn in seine Höhle. Dort sprang der Ermattete auf, stellte sich an den Eingang und zerriß mit seinen Krallen alle, die seine Frömmigkeit nicht bezweifelt hatten.
Nun, ich zweifle an Judhischthiras Gerechtigkeit!
Nicht eine Hand will ich rühren, um den Kater in seine Höhle zu tragen.
Ich zweifle an dem Recht der Pandava auf eine Krone des Bharatareiches:
Dhritaraschtra war der älteste Sohn des Großkönigs Witschitrawiria. Ihm hätte die Weihe gebürt! Er hat das Reich auch beherrscht, seit sein Bruder zur Buße in den Wald ging. Von ihm stammt mein Recht, das Diadem um den Turban zu schlingen, unter dem gelben Schirm zu sitzen und Königsschuhe zu tragen. Nur mir ward das Recht, das ganze Reich zu beherrschen. Mögen die Vettern ruhig im Kamjakawalde bleiben, so will ich vergessen, daß sie nach meinem Thron getrachtet haben. Das ist der Friede, um den nicht gehandelt wird! Von meinem Reiche geb' ich nicht so viel Boden, als eine Nadelspitze bedeckt!«
Einige murrten, die Alten mahnten, doch die Mehrheit jubelte dem König zu, denn Schakuni und Duchschasana unterstützten die Worte Durjodhanas gar eifrig mit großspurigen Reden.
»So höre mein letztes Wort!« sprach Krischna. »Nur um des Rechtes willen, das dem Sohne des Rechtsgottes ein Heiligtum ist, will Judhischthira sich begnügen, wenn du ihm die Herrschaft über fünf Dörflein läßt! Nicht Macht, nicht Reichtum sucht der König der Gerechtigkeit, aber wie sollte er leben, wo das Recht mit Füßen getreten wird!«
»Wackrer Judhischthira! Braver Gesandter!« klang es von den Sitzen der Alten.
»Schweigt!« herrschte Durjodhana sie an. »Nicht so viel Land, als eine Nadelspitze bedeckt! – Ich hab's geschworen! – Du, Krischna, sei auf deiner Hut! Deine Unverletzlichkeit als Gesandter gilt mir nichts, wenn du Zwietracht an meinem Hofe säst. Ich lasse dich binden wie einen Sklaven!«
»Du irrst,« sprach Krischna stolz, »wenn du glaubst, daß ich dich fürchte! Doch mein Amt ist damit zu Ende!«
»Bleib', edler Jadavafürst!« sprach der greise Bhischma, sich erhebend, »Ich habe vor vielen Jahren auf die Herrschaft über dieses Reich verzichtet. Ich bin der Diener dieses schnellzüngigen Königs, sein bestes Schwert, sein erster Rat! – Und ich rate zum Frieden! Ich rate zur Versöhnung! Ich rate, einen Krieg zu vermeiden, der das Blut der Bharata stromweise trinken muß, mag hier oder dort der Sieger stehen! – Hört auf mich, den Alten, der viele Geschlechter leben und sterben sah: Haltet Frieden!«
Als sich bei den Worten des greisen Recken ein Murmeln der Zustimmung hören ließ, sprang der goldschimmernde Karna, der starke König von Anga, von seinem Sitze empor und rief voll Leidenschaft:
»Frieden? Frieden? Sind wir nicht Krieger? – Ich achte die Erfahrung des Alters, aber nicht seine kindische Schwäche. Bhischma hat Kriegsruhm aufgehäuft, daß er wohl daran zehren kann bis an sein Ende! Fürchtet der Alte, daß ihn die Jungen nun übertreffen könnten, so mag er zu Hause bleiben und auf den Strohtod warten. Doch wir, die noch Mark in den Knochen und Mut in den Herzen tragen, wir wollen hinaus und den übermütigen Pandava zeigen, wo die besseren Männer stehen!«
»Gemach!« rief Bhischma, sich trotzig aufrichtend, »gemach, Karna, noch bin ich der unbezwungene Gangasohn, der erste Prinz der Bharata, dem wohl das Herz bluten darf, wenn sein edles Geschlecht sich selbst zerfleischen will, um Recht und Unrecht, Hab und Gut! Du freilich ahnst es nicht, wie kostbar mir jeder Tropfen königlichen Blutes ist, denn du bist und bleibst ein Fuhrmannssohn !«
»Wehe!« rief Karna, »auch hier das verhaßte Wort! – Höre, Durjodhana: ich bin dein Freund und getreuer Vasall; doch hier schwöre ich beim strahlenden Gott der Sonne: nie will ich zugleich mit jenem Alten meine Waffen für dich gebrauchen! Möge es allen klar werden, wer der bessere Krieger ist: Karna, der Fuhrmannssohn, oder Bhischma, der erlauchte Bharatasprößling! Ficht er,
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