Sagen und Märchen Altindiens
so groll' ich im Zelt; fällt er, so führ' ich die Deinen zum Sieg oder sterb' als dein tapferster Krieger!«
Damit wandte sich der Zornmütige und schritt aus der Halle.
Ein Wink des Königs löste die Versammlung auf, und Krischna ging in das Haus seines Gastfreundes, um der edlen Kunti vom Scheitern seiner Gesandtschaft zu berichten und von ihr Urlaub zu erbitten.
Doch kaum war erzählt, was sich alles in der Halle zugetragen hatte, so bat Kunti ihren Brudersohn, seine Abreise zu verschieben und ihr zu folgen.
Krischna gehorchte der edlen Matrone, und rasch trugen einige Sklaven des Hauses die beiden in einem geschlossenen Tragstuhl nach dem Paläste des zürnenden Karna.
Karna empfing die edle Greisin mit Ehrerbietung, den Gesandten mit schweigendem Gruß.
»Höre mich, edler Karna!« begann Kunti. »Ich sehe die gerunzelten Brauen auf deiner Stirne und weiß, was sie bedeuten: Sie haben dir deine Abkunft vorgeworfen! – Nun, sieh freudig ins Leben! Das kann dich nicht treffen, denn du bist eines Gottes Sohn und – der meine! – Oh, nicht diese Bewegung der Abwehr – der Ungläubigkeit – höre, wie alles kam:
Ich war noch ein kleines Mädchen, als ein Heiliger zu uns kam und die Gastfreundschaft meines Vaters erbat. Dieser räumte dem frommen Büßer sein Haus ein und bestimmte mich zur Dienerin des Ehrwürdigen.
Voll Eifer erfüllte ich meine Pflicht, und der heilige Mann, der ein Jahr lang bei uns geblieben war, gab mir beim Abschied einen Zauberspruch, der mir jeden Gott vom Himmel herabrufen konnte.
Ich war zur Jungfrau geworden und stand eines Abends auf dem Söller meines Schlafgemaches, als die Sonne voll glutroten Scheines ins Meer tauchte.
»Herrlich!« rief ich, »o könnte ich Surya doch von Angesicht zu Angesicht sehen!«
Da fiel mir der Zauberspruch, das Geschenk des guten Heiligen, ein.
Neugierig – ängstlich – halb im Spiel – murmelte ich die geheimnisvollen Worte und gedachte des Tausendstrahligen voll inniger Sehnsucht. – Schon stand er vor mir im müden Glanz seines goldschimmernden Panzers, das freundliche Antlitz zwischen dem prächtigen Schmuck seiner Ohren! – Ich zitterte vor dem Erhabenen und bat ihn, ob des kindischen Spieles nicht zu zürnen!
Da umarmte und küßte mich der Gott und versprach, mir einen Sohn zu schenken. Ich bat den Strahlenden, das Söhnlein mit dem undurchdringlichen Panzer aus Gold und dem schimmernden Ohrgeschmeide auszurüsten, auf daß es glänze vor allen Helden der Erde. Freundlich lächelnd nickte der Sonnengott Gewährung und verschwand.
Als das Kindlein zur Welt kam, hatte es einen goldenen Panzer um die junge Brust und die glänzenden Ringe Suryas in den Ohren. Ich fürchtete den Zorn des Vaters, legte das schöne Knäblein, bittere Tränen weinend, in einen mit Wachs überzogenen Weidenkorb und setzte das kleine Fahrzeug mit vielen heißen Segenswünschen auf den Fluß.
Der Wagenlenker Adhiratha und seine edle Gattin Radha, die den Sonnengott schon lange um einen Sohn gebeten hatten, fanden das kleine Schifflein, waren voll Freude und haben dich, mein Sohn Karna, in aller Liebe erzogen! Willst du mir nun die anderen Söhne töten? – Deine Brüder: den edlen Judhischthira, den starken Bhima, den linksspannenden Schützen Ardschuna –?«
»Halt!« rief Karna, »der Name ruft meine Racheschwüre wach, die eingeschlafen waren bei deinen süßen Worten! – – Was doch eine Mutter alles ersinnt, um ihre Söhne vor sicherem Tod zu bewahren!«
»O Karna, ich verdiene dein Mißtrauen, denn ich habe nicht als Mutter an dir gehandelt – doch meine Worte sind wahr, beim allessehenden Gott!«
Da füllte sich das Gemach mit blendendem Sonnenschein, daß die drei ihre Augen vor der Fülle des Lichtes schließen mußten, und eine Stimme klang in Karnas Ohr und sprach:
»Mein Sohn, das Weib hat wahr gesprochen!«
Da neigte Karna sein Haupt in Ehrfucht vor dem göttlichen Vater, und als er sich aufrichtete, war die Fülle des Lichtes verschwunden, das Gemach nicht heller als sonst.
»Höre, edler Karna!« sprach nun Krischna, »als ältester Kuntisohn bist du das Haupt der Pandavasippe! Komme mit mir! Der rechtliche Judhischthira läßt dir die Herrschaft, und wir brennen dies Nest der Neidinge aus!«
»O schweige, schlauer Versucher!« rief Karna. »Soll ich die Treue wechseln wie einen Mantel, der mir nicht mehr gefällt? – Soll ich Ardschuna lieben, der mir Draupadi genommen, und Durjodhana hassen, der mir Freundschaft und Ehre
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