Sag's Nicht Weiter, Liebling
Lesebrille in die Speisekarte. »Also, trinke ich Tee … oder was ist das denn? Ein Frappé Latte?«
»Ich möchte einfach eine ganz normale Tasse Kaffee«, sagt Dad und schielt stirnrunzelnd auf die Karte. »Falls es so was hier gibt.«
»Wenn nicht, musst du dir einen Cappuccino bestellen und den Milchschaum abschöpfen«, sagt Mum. »Oder einen Espresso und um etwas heißes Wasser extra bitten.«
Ich kann es nicht glauben. Sie sind 200 Meilen gefahren. Sollen wir jetzt hier sitzen und den ganzen Tag über heiße Getränke reden?
»Ach, bevor ich’s vergesse«, fügt Mum lässig an. »Wir haben etwas für dich besorgt, Emma. Nicht wahr, Brian?«
»Oh … aha«, sage ich überrascht. »Was denn?«
»Ein Auto«, sagt Mum und sieht zum Kellner auf, der an unseren Tisch gekommen ist. »Hallo! Ich hätte gern einen Cappuccino, mein Mann einen Filterkaffee, wenn’s geht, und Emma möchte …«
»Ein Auto ?«, stammle ich ungläubig.
»Auto«, echot der italienische Kellner und sieht mich misstrauisch an. »Sie wollen Kaffee?«
»Ich … ich hätte gern einen Cappuccino, bitte«, sage ich verwirrt.
»Und ein paar Teilchen«, fügt Mum hinzu. »Grazie!«
»Mum …« Ich fasse mir an den Kopf, als der Kellner verschwindet. »Was soll das heißen, ihr habt mir ein Auto besorgt?«
»War nur ein Scherz. Aber du solltest dir ein Auto anschaffen. Das Busfahren ist abends einfach zu gefährlich. Da hat Grandpa schon Recht.«
»Aber … aber ich kann mir kein Auto leisten«, sage ich blöde. »Ich kann mir ja nicht mal … was ist mit dem Geld, das ich euch schulde? Was ist mit …«
»Vergiss das Geld«, sagt Dad. »Die Schulden sind gestrichen.«
»Was?« Ich starre ihn an, verwirrter denn je. »Aber das geht doch nicht! Du kriegst doch noch …«
»Vergiss das Geld«, sagt Dad etwas schärfer. »Ich möchte, dass du die ganze Sache vergisst, Emma. Du schuldest uns gar nichts. Überhaupt nichts.«
Um ehrlich zu sein, kann ich das alles gar nicht verarbeiten. Ich schaue verwirrt von Dad zu Mum. Und dann wieder zu Dad. Und dann, ganz langsam, wieder zu Mum.
Es ist wirklich seltsam. Aber es fühlt sich an, als ob wir uns seit Jahren das erste Mal wieder richtig sehen würden. Als ob wir uns gesehen und Hallo gesagt hätten und irgendwie … wieder von vorne anfangen würden.
»Wir wollten dich fragen, ob du nicht nächstes Jahr Lust auf einen kleinen Urlaub hast«, sagt Mum. »Mit uns zusammen.«
»Nur … wir?«, frage ich und gucke auf dem Tisch herum.
»Nur wir drei, dachten wir.« Sie lächelt mich zaghaft an. »Das wäre bestimmt schön. Du musst natürlich nicht, wenn du schon etwas anderes vorhast.«
»Nein! Ich fahre gerne mit!«, sage ich schnell. »Wirklich. Aber … aber was ist mit …« Ich bringe es nicht mal über mich, Kerrys Namen auszusprechen.
Es entsteht eine kleine Pause, in der Mum und Dad sich kurz ansehen und dann wieder wegschauen.
»Kerry lässt natürlich auch schön grüßen!«, sagt Mum strahlend, als ob sie völlig das Thema wechseln würde. Sie räuspert sich. »Weißt du, sie wollte nächstes Jahr vielleicht mal nach Hongkong fahren. Ihren Vater besuchen. Sie hat ihn ja schon mindestens fünf Jahre nicht gesehen, und vielleicht ist es an der Zeit, dass die beiden … mal ein bisschen Zeit zusammen verbringen.«
»Aha«, sage ich beklommen. »Gute Idee.«
Ich fasse es nicht. Alles ist anders. Als wenn die ganze Familie in die Luft geworfen worden und in unterschiedlichen Positionen wieder gelandet wäre, und nichts ist mehr wie vorher.
»Wir haben das Gefühl, Emma«, sagt Dad und bricht ab. »Wir glauben, wir haben vielleicht nicht … dass wir vielleicht nicht immer bemerkt haben …« Er bricht wieder ab und reibt sich energisch die Nase.
»Cappu- cci no«, sagt der Kellner und setzt eine Tasse vor mir ab. »Filter- ka ffee, Cappu- cci no … Mokka- tört chen … Zitronen- tört chen … Schokoladen …«
»Danke!«, unterbricht Mum ihn. »Vielen Dank. Wir kommen dann schon klar.« Der Kellner verschwindet wieder, und sie sieht mich an. »Emma, wir wollten dir gerne sagen … wir sind sehr stolz auf dich.«
O Gott. O Gott, gleich muss ich weinen.
»So«, bringe ich heraus.
»Und wir …«, fängt Dad an. »Also, wir beide - deine Mutter und ich …« Er räuspert sich. »Wir haben dich immer … und werden immer … wir alle beide …«
Er macht eine Pause und holt tief Luft. Ich traue mich nicht, etwas zu sagen.
»Was ich sagen will, Emma«, fängt er wieder
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