Sag's Nicht Weiter, Liebling
herausgeplatzt wäre -, dann wäre das nie passiert. Wir hätten uns nie gefunden. Es war Schicksal. Ich sollte in dieses Flugzeug steigen. Ich sollte in die Business Class hochgestuft werden. Ich sollte meine Geheimnisse ausplappern.
Als ich zu Hause ankomme, strahle ich wie ein Honigkuchenpferd. Jemand hat ein Licht in mir angeknipst. Plötzlich erkenne ich den Sinn des Lebens. Jemima hat Unrecht. Männer und Frauen sind keine Feinde. Männer und Frauen sind Seelenverwandte . Und wenn sie einfach ehrlich wären, ganz von Anfang an, dann würden sie es auch merken. Das ganze Geheimnisvollsein und die Distanziertheit sind kompletter Blödsinn. Jeder sollte seine Geheimnisse sofort preisgeben!
Ich bin so voll davon, ich glaube, ich schreibe einen Beziehungsratgeber. Er wird Keine Angst vor Ehrlichkeit heißen, und darin wird dargelegt, dass Männer und Frauen ehrlich zueinander sein müssen, um besser miteinander kommunizieren und sich verstehen zu können. Dann brauchen sie sich nie wieder gegenseitig irgendetwas vorzuspielen. Das lässt sich ja auch auf Familien übertragen. Und auf die Politik! Wenn die Spitzenpolitiker der Welt sich gegenseitig ein paar persönliche Geheimnisse gestehen würden, dann gäbe es vielleicht gar keine Kriege mehr! Ich glaube, ich habe da wirklich eine Entdeckung gemacht.
Ich schwebe die Treppe hinauf und schließe die Wohnungstür auf.
»Lissy!«, rufe ich. »Lissy, ich bin verliebt!«
Es kommt keine Antwort, was mich ein bisschen enttäuscht. Ich hätte jetzt gern mit jemandem gesprochen. Ich wollte gerne jemandem meine brillante neue Lebensphilosophie darlegen und …
Aus ihrem Zimmer kommt ein Rumsen, und ich bleibe wie angewurzelt stehen. O mein Gott. Das mysteriöse Rumsen. Da noch mal. Und noch zweimal. Was zum Teufel …
Und dann sehe ich sie, durch die offene Wohnzimmertür. Auf dem Boden, neben dem Sofa. Die Aktentasche. Eine schwarze Ledertasche. Das ist er. Jean-Paul. Er ist da drin. In diesem Moment! Ich gehe ein paar Schritte vor und starre fasziniert Lissys Tür an.
Was machen die da?
Ich glaube ihr einfach nicht, dass sie Sex haben. Aber was kann es sonst sein? Was könnte es denn sonst …
Okay … Schluss damit. Es geht mich nichts an. Wenn Lissy mir nicht erzählen will, was da los ist, dann will sie es mir nicht erzählen. Ich fühle mich sehr abgeklärt, gehe in die Küche und hole den Wasserkocher heraus, um mir einen Kaffee zu kochen.
Dann setze ich ihn wieder ab. Warum will sie es mir nicht erzählen? Warum hat sie Geheimnisse vor mir? Wir sind doch Busenfreundinnen! Ich meine, schließlich hat sie doch gesagt, dass wir keine Geheimnisse voreinander haben sollten.
Ich halte das nicht aus. Die Neugier bohrt sich in mich wie ein Stachel. Unerträglich. Und dies könnte die einzige Möglichkeit sein, die Wahrheit herauszufinden. Aber wie? Ich kann ja nicht gut einfach da reinspazieren. Oder?
Ganz plötzlich kommt mir ein kleiner Gedanke. Was, wenn ich die Aktentasche gar nicht gesehen hätte? Wenn ich völlig
nichtsahnend in die Wohnung gekommen wäre, wie immer, und zufällig gleich zu Lissys Zimmer durchmarschiert wäre und zufällig ihre Tür geöffnet hätte? Dann könnte ich ja gar nichts dafür, oder? Dann wäre es einfach ein ganz normales Missgeschick gewesen.
Ich gehe aus der Küche, lausche einen Moment lang aufmerksam, dann schleiche ich auf Zehenspitzen zurück zur Wohnungstür.
Noch mal von vorne. Ich komme gerade erst in die Wohnung.
»Hi, Lissy!«, rufe ich unsicher, als sei eine Kamera auf mich gerichtet. »Mensch! Wo kann sie nur sein? Vielleicht … äh … gucke ich mal in ihrem Zimmer nach!«
Ich gehe möglichst natürlich durch den Flur, erreiche ihre Tür und klopfe sehr leise an.
Keine Reaktion von drinnen. Es rumst auch nicht mehr. In plötzlicher Besorgnis starre ich das nackte Holz an.
Soll ich das wirklich tun?
Ja. Ich muss es einfach wissen.
Ich fasse an die Klinke, öffne die Tür - und schreie vor Schreck.
Der Anblick überrascht mich so, dass ich erst gar nichts damit anfangen kann. Lissy ist nackt. Sie sind beide nackt. Sie und dieser Typ sind in der seltsamsten Stellung ineinander verknotet, die ich je, jemals … sie hat die Beine in die Luft gestreckt, er hat seine um sie herum gewunden, sie sind beide knallrot im Gesicht und keuchen.
»Tut mir Leid!«, stottere ich. »Gott, es tut mir Leid!«
»Emma, warte mal!«, höre ich Lissy rufen, als ich in mein Zimmer flitze, die Tür zuknalle und mich aufs Bett
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