Sahnehäubchen: Roman
bleiben?«
»Ich fürchte nicht«, erkläre ich schulterzuckend. »Er hat zwar gesagt, er wolle noch mal ein, zwei Nächte drüber schlafen, aber eigentlich will er in Zukunft auf eigenen Füßen stehen, und da sein Vater ein großer Kunde von uns ist, dürfte das in unserer Agentur unmöglich sein.«
»Das stimmt. Habt ihr ihn damals eigentlich nur wegen seines Vaters eingestellt?«
»Ehrlich gesagt, ja. Sein Vorstellungsgespräch war katastrophal, und von dem Deal, den Susanne gerade mit dem Weidner-Verlag eintütete, hatte ich nichts mitbekommen. Also habe ich ihm seine Unterlagen gleich zurückgeschickt. Susanne hat dann darauf bestanden, dass ich die Sache wieder ausbügle. Tja, und so habe ich bei Tom angerufen. Er war überhaupt nicht sauer, sondern vielmehr beeindruckt, dass ich ihm trotz seines Vaters eine Absage geschickt habe. Dass ich davon gar nichts wusste, sondern ihn einfach nur schlecht fand, konnte ich ihm natürlich nicht mehr sagen. Also habe ich behauptet, ich hätte noch mal über unser Gespräch nachgedacht und sei der Meinung, man müsse auch mal einem Paradiesvogel wie ihm eine Chance geben.«
»Verstehe. Na, vielleicht überlegt sich Tom das Ganze ja noch mal. Wenn er noch an deine alte Version glaubt, kann er sich immerhin daran festhalten, dass du ihn trotz seines Vaters eingestellt hast.«
»Ja, vielleicht.«
Nils schaut mich nachdenklich an. »Du siehst jetzt ganz schön müde aus. Ich glaube, ich lasse dich besser allein. Also, trink brav den Saft aus, nimm eine Aspirin und entspann dich bei Lektüre.« Er streicht mir über die Haare – eine sehr schöne, beinahe zärtliche Geste. Und garantiert nicht so ansteckend wie ein Wangenkuss.
»Mach ich. Und danke noch mal für das Carepaket!«
Nach einer weiteren ungemütlichen Nacht verbringe ich auch den Sonntag dösend auf dem Sofa. Nils hat gestern eine ganze Karaffe von seinem Wundersaft gepresst, ich trinke also ab und zu ein Glas davon; essen mag ich überhaupt nichts, kein Appetit. Die Halsbonbons aus dem Carepaket lindern das Kratzen tatsächlich ein wenig, aber noch immer fühle ich mich schlapp und benommen. Hoffentlich bin ich morgen wieder halbwegs fit und kann ins Büro.
Ob Tom es sich noch einmal überlegt und wiederkommt? Seit unserem Spaziergang hat er sich überhaupt nicht mehr gemeldet, und das scheint mir eher ein schlechtes Zeichen zu sein. Überhaupt wundere ich mich, dass er noch nicht einmal kurz anruft. Nein, wundern ist falsch: Ich bin enttäuscht. Gut, es gibt natürlich kein Gesetz, das einen Mann verpflichten würde, nach einem netten gemeinsamen Abend anzurufen. Und auch nach einem Kuss ist es natürlich nicht zwingend vorgeschrieben. Aber erwartet hätte ich es doch. Ist er irgendwie sauer? Nur – warum?
Ich überlege, Tom eine SMS zu schicken. Oder besser eine E-Mail? Ich wälze mich vom Sofa und hole meinen Laptop vom Schreibtisch. So, was genau schreibe ich denn an den lieben Tom? Ich tippe erst mal drauflos, ändern kann ich dann immer noch. Als Erstes versuche ich es mit einer harmlosen Variante:
Lieber Tom,
hoffentlich geht es Dir besser als mir: Ich habe mir bei unserem Elbspaziergang eine amtliche Erkältung geholt. Melde Dich doch mal, wenn Du das liest.
Viele Grüße
Nina
Hm. Vielleicht ein bisschen zu harmlos. Etwas direkter kann sie wohl ausfallen.
Hallo Tom,
sag mal, was soll denn das? Wir verbringen einen schönen Abend miteinander, Du küsst mich zum Abschied – und dann tauchst Du unter? Ich liege total krank im Bett, es geht mir sehr schlecht, und Du hältst es nicht für nötig, mich anzurufen?
Okay, das geht so natürlich auch nicht. Den sterbenden Schwan – sowohl in körperlicher als auch emotionaler Hinsicht – muss ich nun wirklich nicht geben. Vielleicht sollte ich es eher über die berufliche Ebene angehen.
Lieber Tom,
ich höre so gar nichts mehr von Dir. Alles in Ordnung? Hast Du noch einmal über Deine Kündigung nachgedacht?
Oder ich schreibe es irgendwie ganz anders.
Oder doch gar nicht.
Meine Güte, bin ich heute entscheidungsschwach! Hoffentlich liegt das wirklich nur an meiner Erkältung. Ich grüble weiter über eine passende Formulierung nach, aber viel mehr fällt mir nicht ein.
Was sich wohl gerade bei Facebook tut? Surfen im Internet ist doch immer eine klasse Ablenkung.
Auf meiner eigenen Seite tut sich naturgemäß nicht viel. Kein Wunder, ich habe nach wie vor nur vier Freunde, und die sind offenbar alle zu beschäftigt oder zu selten
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