Sahnehäubchen: Roman
mich an ein Haargel, das wir als Kinder zu Karneval immer reichlichst benutzt haben. Dieses schöne Stylingprodukt scheint hier seine Wiederauferstehung zu feiern. Und wie auf ein unsichtbares Kommando strahlt einer der Scheinwerfer im ChiChi Dwaine nun direkt an; seine Haare geben ihm daraufhin etwas Rauschgoldengelhaftes. Peinlich berührt versuche ich, in die andere Richtung zu sehen, aber es gelingt mir nicht. Dwaines Frisur hat die Wirkung eines Autounfalls, an dem man schnell vorbeifahren sollte, es aber natürlich nicht lassen kann, einen Blick zu riskieren. Und noch einen.
Allerdings scheint Frau Lipfert genug gesehen zu haben. Sie zieht ein kleines Büchlein aus der Handtasche und beginnt, sich Notizen zu machen. Mein Gefühl sagt mir, dass das kein gutes Zeichen ist. Ich gehe zu Tom hinüber.
»So, jetzt stehen wir wie die Deppen in Ihrer blöden ChiChi-Bar«, grummle ich, »und wenn hier nicht bald etwas passiert, dann beendet die Lipfert ihren kleinen Rechercheausflug, bevor er noch richtig begonnen hat.«
Er sieht mich groß an. »Ja, und nun?«
»Wie, und nun?« Ich seufze. »Auf an die Bar und mal ein schönes Getränk für die Dame besorgt. Und für mich am besten gleich auch eins. Dalli, dalli!«
Tom guckt etwas irritiert ob meiner unerwartet energischen Ansprache, tut dann aber wie geheißen.
Fünf Minuten später drückt er Miriam Lipfert und mir etwas in die Hand, was an einen Caipirinha erinnert – nur in einer Miniaturausführung.
»Himmel, was sollen wir denn mit diesem Schnapsglas?«, ranze ich ihn an. »Gab es nichts Vernünftiges? Wenn wir die Lipfert mit Alkohol gnädig stimmen wollen, macht diese Dosierung wirklich überhaupt keinen Sinn. Da brauchen wir ja mindestens zehn Gläser, bis sie überhaupt etwas merkt.«
Tom zuckt mit den Schultern.
»Tut mir leid, die gibt es hier nicht größer.«
Ich seufze. »Okay, dann sorgen Sie bitte für stetigen Nachschub.«
»Dafür brauche ich aber mehr Geld. Meins reicht nur noch für zwei weitere Drinks.«
Sollte Tom Weidner von seinem Vater nur ein kleines Taschengeld bekommen? So, mein Sohn, hier hast du deine zehn Euro für die Woche, aber teil’s dir schön ein. »Wieso, was kosten die denn?«
»Jeweils zwölf Euro.«
»Zwö… zwölf Euro? Für einen Fingerhut voller Eis und Limette mit einem Hauch Zuckerrohrschnaps? Was für eine Unverschämtheit.« Ich krame in meiner Handtasche. »Aber egal, hier haben Sie noch fünfzig Euro. Und jetzt ab zur Bar! Frau Lipfert soll sich wirklich gepampert fühlen.« Wenn es Dwaine schon nicht bringt, dann müssen wir eben das Schlimmste verhindern.
Inzwischen scheint sich der große Meister endlich ein Opfer ausgeguckt zu haben: Er steuert auf die rassige Schönheit zu, die eben mit Champagner begossen wurde. Ich hoffe, er hat mitbekommen, dass auch ein anderer Galan an der Dame interessiert ist. Oder gehört gerade das zu seiner Galavorstellung? Okay, das könnte funktionieren. Wenn er hier unter Beweis stellt, dass er auch die direkte Konkurrenz nicht scheut, sammelt er bestimmt Punkte bei der Lipfert.
Ich kann nicht hören, was Dwaine seinem ersten Flirtobjekt ins Ohr flüstert, ihr Gesichtsausdruck bleibt allerdings relativ gelangweilt. Er kramt in seiner Hosentasche und holt irgendetwas heraus; eine Karte vielleicht oder einen Zettel? So genau kann ich das nicht erkennen. Er zeigt es der Frau kurz, die nickt und schließt die Augen. In diesem Moment zieht er sie blitzschnell an sich heran … und küsst sie! Frau Lipfert verfolgt das Schauspiel gebannt, und auch ich bin sehr gespannt, wie es nun weitergeht. Das lässt sich vielversprechend an.
Leider geht es nicht so vielversprechend weiter – die Schönheit reißt sich von Dwaine los und schreit ihm irgendetwas ins Gesicht, was ich wegen der lauten Musik nicht verstehe. Dwaine erwidert etwas und wedelt wieder mit dem Zettel – da holt die Frau aus und verpasst ihm eine veritable Ohrfeige. Autsch! Das sah schmerzhaft aus. Schnell schaue ich zu Frau Lipfert hinüber, vielleicht hat sie diese neue Entwicklung verpasst?
Nein – sie grinst und kritzelt wie wild in ihr Buch. Mist!
Dwaine steht da wie ein begossener Pudel, und obwohl es dem Idioten eigentlich zu gönnen ist, tut er mir ein bisschen leid. Ich gehe zu ihm und drücke ihm meinen Mini-Caipi in die Hand.
»Alles in Ordnung bei Ihnen?« Aber ein Indianer kennt bekanntlich keinen Schmerz und ein Texaner anscheinend erst recht nicht. Dwaine grinst mich breit an und tut
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