Saigon - Berlin Thriller
oder in den Bunker zurück? Ich bin müde.«
In der Baracke waberte Hitze und Anspannung. Die Fliegen sorgten auch nicht für Kühlung.
Minsky nickte. »Wissen Sie, was mein Fehler ist?« Er nickte fast zufrieden. »Ich verfüge über eine gute Menschenkenntnis. Nur manchmal bin ich nicht brutal genug, wie meine Vorgesetzten meinen.«
Er umrundete mich wieder wie ein lauernder Schäferhund. Bewegst du dich innerhalb meines Beuteschemas, passiert dir nichts. Aber wehe, du hältst meine Vorstellung von Ordnung nicht ein. Dann zwicke ich dich erst einmal als Warnung. Eine zweite Warnung gibt es nicht.
»Was halten Sie von der Meinung meiner Vorgesetzten, Stösser?«
Ich zuckte mit den schmerzenden Schultern. Die Faulgase der Kloake schienen sich bis in mein Gehirn durchgefressen zu haben. Alles schmeckte und roch nach Exkrementen.
»Sie haben keine Meinung? Also haben Sie auch keine Vorgesetzten. Hm ... ein interessanter Job.«
Minsky umkreiste mich weiter und nickte. Die Hände auf dem Rücken verschränkt. »Ein äußerst interessanter Job«, murmelte er unablässig.
»Ich habe es nur zum Soldaten gebracht. Und da hat man immer einen Vorgesetzten.« Er setzte sich wieder. Sah mich durch seine Brille an. Presste die Lippen zusammen und nickte.
»Schlafen wollen Sie? Wissen Sie, dass ich das verhindern kann? In sieben Tagen sind Sie wahnsinnig und unterschreiben alles, was ich Ihnen vorlegen werde. Wollen Sie das?«
»Dann werde ich das widerrufen, dass es der Genfer ...«
»Hören Sie mit Ihrer Scheiß-Genfer-Konvention auf! Die gilt hier nicht«, brauste Minsky auf und hieb auf den Tisch. »Hier herrscht das Gesetz des Dschungels. Das Recht des Stärkeren. Mehr nicht. Die Amis verseuchen die Gebiete, die ihnen nicht gehören. Rotten unter dem Deckmantel des Vietcongs Dörfer aus. Verbrennen die Erde mit Napalm. Also, unterschreiben Sie gefälligst sofort, sonst lasse ich Sie im Bunker vergammeln. Dann hänge ich Ihnen als Unterhaltung noch Ihre derzeit lebenden Kollegen dazu. Dürfte ja für einen Skat reichen. Sie überleben das keine weitere Nacht.«
Nein, das unterschrieb ich nicht. Das wäre irgendwann einmal mein Todesurteil. Dann wollte ich lieber hier und sofort sterben.
Minsky gab dem Schwarzhaar, der bisher kein Wort gesagt und ruhig auf einem Stuhl zugehört hatte, mit der Hand ein Zeichen.
»Nehmt ihm die Binden von den Handgelenken. Damit die Fliegen richtig viel zu tun haben. Und sollten die Wunden verheilt sein, schneidet sie wieder auf. Und dann ab in den Bunker. Gute Nacht, Stösser.«
Jemand schlug mir ins Gesicht. Eine anderer brüllte mich an. Ein dritter trat mich.
»Peter! Wach werden! Los Mann, komm hoch, sonst verreckst du uns hier. Wo bleibt das Wasser, verdammt noch mal?«
Das war Vesuvs Stimme.
»Lass ihn doch verrecken. Der ist doch zu den Vietcong übergelaufen.« Das war Ronalds Stimme.
»Der verreckt mir nicht, bevor er nicht geredet hat. Also. Los, Wasser her!« Das war die Stimme von La Troux. Ich schlief wieder ein und träumte schlecht.
Es war warm. Es stank nach Kot. Die Fliegen hatten sich in meinen Wunden festgesetzt. Minsky hatte alle paar Stunden nach mir gesehen und geschimpft, dass ich ein unverbesserlicher Dickschädel sei. Ich bräuchte nur zu unterschreiben. Mehr nicht. Und wenn nicht bald, dann würde ich direkt unter den Aborten angebunden. »Dann scheißen Ihnen die Soldaten direkt ins Gesicht«, hatte er gedroht.
»Halt ja das Maul. Du bist doch hier der Verräter, du elender Franzosen-Vietcong.« Das war Vesuvs Stimme.
Dann holte mich wieder der Schlaf ein, den ich achtundvierzig Stunden nicht mehr gehabt hatte. Ich halluzinierte. Mir war übel. Ich schloss die Augen. Feurige Ringe tanzten in meinem Gehirn. Ich öffnete die Augen wieder. Die Ringe wurden zu Prismen, die vom Sonnenlicht verstärkt wurden. Ich entkam diesem Spektakel nicht. War ich nun wahnsinnig? Zwei Blätter Papier flatterten an mir vorbei. Eine Vereinbarung zwischen mir und jemandem, den ich nicht kannte. Danach würde ich sofort aus dem Lager entlassen. Die Vision faltete sich vor meinen fiebernden Augen zu einem Papierflieger. So wie ich ihn in den langweiligen Mathestunden im Gymnasium angefertigt und durch den wilhelminischen Klassenraum hatte flattern lassen. Das Ergebnis war immer das gleiche gewesen. Der Flieger war nicht perfekt. Seine Flugeigenschaften katastrophal. Dafür war der Klassenbucheintrag perfekt. Hatte ich das Ding nun unterschrieben oder nicht?
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