Saigon - Berlin Thriller
Professor in Shanghai«, fuhr sie fort. »Er hatte nur den Fehler gemacht, auf der falschen Seite zu sein, als Mao die Kulturrevolution voranpeitschte und alle Intellektuellen in Lager steckte. Ho Chi Minh, Onkel Ho, wie er hier genannt wird, ist sein Handlanger. Er kriegt seine Waffen aus dem Norden. Stellvertreterkrieg nennt man das, glaube ich. Früher hießen seine Truppen Viet Minh, heute Vietcong. Da gibt es für uns keinen Unterschied. Wir stecken zwischen allen Fronten.«
Ihre schlanken Finger ruhten auf ihren Schenkeln, die in einer Jeans steckten.
»Unsere Familie musste fliehen. So leben wir seit Jahren zwischen allen Grenzen und haben uns als Gäste in diesem Land in das chinesische Viertel Cholon zurückgezogen.« Sie atmete tief durch. »Na ja, seither warte ich mit meinen Geschwistern darauf, dass sich etwas ändert. Aber da ist wohl mit dem jetzigen Krieg nicht viel zu erwarten. Außer dass wir durch ein wenig Ackerbau und die Dienste für ausländische Soldaten versuchen, unsere Familien zu ernähren.«
Ich schluckte. Die Hintergründe dieses Krieges hatte ich nicht verstanden. Noch nicht und würde sie vielleicht auch nie verstehen. In meinem Alter galt es nur den Auftrag erfolgreich zu erfüllen. Den Auftrag, der mich bezahlte.
»Du hast noch Familie in Cholon?«
Chi nickte. »Ja. Ein paar Schwestern. Aber die sind entweder zu alt oder zu jung für dich. Du bist ein Milchbart. Keine von denen würde dich wirklich ernst nehmen. Auch nicht gegen Bezahlung. Du hast ein schlechtes Alter. Nicht mehr Kind. Noch nicht Mann.«
Ich besah mir die Frau näher, die das sagte. Chi war älter, als es auf den ersten Blick aussah. Vielleicht zehn, zwanzig Jahre älter als ich. Wer wollte das schon so genau wissen? Sie gehörte zu Klaus.
Also ein schlechtes Karma, wie Brian gesagt hatte. Beinhaltete seine Definition die von Chi?
»Warum, zum Teufel, braucht man hier ausgerechnet eine Frau, die sich um alles kümmert. Kann ich das nicht selbst machen?«
Mir war nicht nach Sklavenhalterei. Und schon gar nicht gegen Bezahlung. Da kam ich mir wie ein Zuhälter vor.
Chi sammelte die Reste meiner Haarpracht vom Boden auf. Sortierte die Wäsche von Klaus.
»Nein. Eigentlich ja, wenn dies ein normales Hotel wäre. Aber es ist es nicht.« Sie machte das Bett und räumte die Frühstücksutensilien von Klaus fort.
»Dieses Hotel war mal das beste in Saigon. Bis die Franzosen ihren Krieg hier verloren und die Amerikaner kamen. Der Inhaber blieb. Ein reicher Franzose. Er gibt Journalisten aus aller Welt eine miese Unterkunft. Kassiert dafür von deren Auftraggebern. Für den Rest haben die sogenannten Gäste für jeden Service extra zu zahlen. Bis 1964 einer der GIs auf die Idee kam, wenn ich schon für alles extra zahlen muss, dann kann meine Nutte auch gleich hier wohnen. Die ist versorgt. Und er war es auch.«
Chi bügelte Hemden und faltete sie militärisch auf Spindmaß zusammen.
»Das hat sich hier so eingebürgert, dass du, wenn du alles selbst machen willst, keine Chance hast, gegen zweihundertfünfzig Frauen anzukommen.« Sie lächelte fast bedauernd. »Oder du bist homosexuell und suchst dir einen Mann. Dann seid ihr immerhin schon zu zweit.«
Nun lachte sie. Ein helles Lachen mit einem verzweifelten Tremolo.
»Hör zu. Du hast hier keine Chance. Das hat dir Klaus schon gesagt. Du musst ihn ablösen. Wir gehen nach Deutschland. Du musst dich selbst darum kümmern, wo und wie du deinen Job als Reporter machen kannst. Hier will euch niemand haben. Wer lässt sich schon bei seinem schmutzigen Geschäft fotografieren. Und wenn du dann von den Truppen mit in den Einsatz genommen wirst, wer soll sich dann um deine Wäsche oder deine Wunden kümmern, wenn du aus dem Einsatz zurückkommst? Deine Frau oder Freundin in Deutschland? Wer beschafft dir das Frühstück? Deine Mahlzeiten, wenn du nach Wochen mal wieder ein paar Tage Ruhe haben willst?«
Sie bügelte ungerührt weiter. Spülte die Bratpfanne. Putzte das wenige Mobiliar im Raum.
Ich saß immer noch auf meinem Seesack.
»Also doch eine Frau?« Ich murmelte das mehr für mich. So hatte ich mir meinen Auftrag nicht vorgestellt. Da war ich etwas zu blauäugig gewesen. Schickes Hotel. Service. Hier und da einen Einsatz, zu dem ich von der kämpfenden Truppe eingeladen würde. Genau das Gegenteil schien die Realität zu sein.
»Was soll dieses Zimmer 125? Ich schlafe in keinem Grab, das nicht renoviert wurde. Und in einem Schlachthaus schon überhaupt
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