Saigon - Berlin Thriller
Zitterte seine Hand? Ja, sie zitterte.
Ich setzte mich in die wackelige Sitzgruppe. Sie knirschte, aber brach auch unter mir nicht zusammen.
»Wer bist du?« Diese Frage stellte ich nicht gerne. Der andere war und blieb der andere. So lange, bis er selbst von sich sprach. Das stand dem Gesetz des Journalisten, alles wissen zu wollen, alles wissen zu müssen, diametral entgegen. Aber kein Journalist würde jemals einen Kollegen aushorchen. Das war ein ungeschriebenes Gesetz.
Brian knotete seine Finger wie die Fangarme eines Oktopus zusammen. Zog die Stirn in Falten.
»Du bist noch neu und jung. Ich war schon im Indochinakrieg hier. Zur Zeit der Franzosen. Die haben damals auch nichts verstanden. Dieses Land ist von außen nicht zu befrieden. Vielleicht hilft unsere Berichterstattung, dass niemand mehr in den Krieg geht. Aber auch nur vielleicht«, murmelte der schwarze Gigant.
Ich verstand ihn. Aber von Begreifen konnte keine Rede sein.
»Warum sollte ich meinen Auftraggeber wechseln?«
Brian sah zum Himmel. Wolken flogen sehr schnell vorbei. Die Palmen wehten im stärker werdenden Wind.
»Es gibt ein Unwetter. Das ist in diesen Breiten normal. Vielleicht kommt der Monsun dieses Jahr früher als sonst. Aber, was ist in diesem Land noch normal?« Er zündete sich eine neue Zigarre an. Trank den Whiskey aus der Flasche. Verschluckte sich und hustete.
»Ich habe ein Zimmer für dich. Sieh mal nach oben.« Brian deutete auf den Ostflügel des Hotels, der nur zweistöckig war. »Da, wo das Fenster gerade offen steht, kannst du einziehen. Es ist ruhiger als im Haupthaus. Du hättest den Blick auf diesen Garten.«
»Wessen Zimmer? Die Rezeption sagt ...«
Brian nickte. »Die Rezeption weiß nicht, dass ich meinen Sohn ersetze. Daher mein Angebot.«
Er las in meinem Gesicht, dass ich reichlich verwirrt war. Ein mühsames Lächeln huschte über seine Lippen.
»So ist es. Ich habe vor wenigen Tagen die Bestätigung bekommen, dass mein Sohn tot ist. Tot, weil er unbedingt in meine Fußstapfen als Journalist treten wollte. Sein Platz ist frei.«
Brian sagte das fast ohne Regung. Der massige Körper schien einiges schlucken zu können. Hatte er eine größere Seele als andere? Dann musste ich noch viel lernen.
»Er war ein Querkopf. Wollte es mir beweisen. Meldete sich freiwillig, um in diesen Krieg zu gehen.«
Wieder Schweigen. Die Luft war schwer vom heranziehenden Gewitter.
»Vor ein paar Wochen bekam ich von der Redaktion die Meldung, dass er seit seinem letzten Einsatz vermisst wird.« Brian atmete tief durch. Die ersten lautlosen Blitze zuckten am Himmel.
»Dann, vor einer Woche, bekam ich den üblichen Brief ... ›in treuer Pflichterfüllung für sein Vaterland gefallen‹ und der ganze Mist, der von Schreibtischtätern standardmäßig reingeschrieben wird. Selbst die Unterschrift ist inzwischen ein Stempel. Baff und weg damit.« Er hieb auf den Tisch, der nun doch zusammenbrach. Die Flasche konnte ich gerade noch retten.
Seine Kaumuskeln spielten, als zermalmten sie böse Gedanken.
»Ein Vater hofft doch immer, dass es sich um ein Versehen handelt. Ein Missverständnis. Das kann doch nicht sein, dass der einzige Sohn tot sein soll. Warum ausgerechnet mein Sohn? Gestorben wofür? Für welches Vaterland? Wer außer den Vietnamesen stirbt denn hier für sein Vaterland? Mein Sohn ist hier gefallen, wo er nichts zu suchen hatte. Was haben wir überhaupt hier zu suchen?«
Das war eine gute Frage. Ich war ein Abenteurer, wollte gute Fotos machen, Geld damit verdienen. Ans Sterben dachte ich nicht. Jeder Tod für andere war sinnlos. Warum gab es Soldaten? Was wollten die hier überhaupt? Kommunisten bekämpfen, wie die Presse immer tönte? Was, zur Hölle, war ein Kommunist? Genauso konnte ich fragen, was, zum Teufel, ein Christ ist? Konnten Christen Kommunisten sein? Oder umgekehrt? Eine genauso bescheuerte Frage, wie die, die ich Brian gern gestellt hätte.
»Warum gibst du dann nicht Ruhe?«, fragte ich. »Willst du deinem Sohn folgen? Wer garantiert dir, dass du deinen Sohn überlebst? Du forderst dein Schicksal ganz schön heraus.«
Der schwarze Riese trat die Reste des Tisches von sich.
»Ich weiß auch nicht. Wir Journalisten müssen alle eine Macke haben. Lebt dein Vater noch?«
Die Frage stellte ich mir nicht mehr. Nach meinem Abitur war ich von meinem verkorksten Zuhause abgehauen. Ich war meine kleine Ein-Mann-Familie.
»Keine Ahnung.«
Es fing an zu regnen. Brian nickte. »Na gut. Dann
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