Saigon - Berlin Thriller
Er schloss die Tür und schritt wie ein Fürst in seiner orangefarbenen Kutte mit vorgehaltener Bettelschale auf die Menschentrauben zu.
Ich schüttelte den Kopf. Wie sollte das ein Europäer verstehen? Ein Bettler war ein Bettler, dem man möglichst aus dem Weg ging. Es war einem peinlich, ihm ein Almosen zu geben. Wir vermuteten gleich Betrug und Schwäche dahinter. Wer bettelte, gehörte zur untersten sozialen Schicht. Er hatte versagt. Alles, was ich ihm gab, würde er doch nur versaufen.
Der Mönch sah es als Ehre an, betteln zu gehen. Er zeigte es durch seine Körperhaltung. Er bettelte nicht. Er »erbat« etwas. Mit einer Souveränität, die ich nur bewundern konnte.
Das musste ich mir genauer ansehen. Also stieg ich aus und folgte ihm.
»Willst du dir den Wettkampf nicht anschauen?«, fragte Kleiner Drache.
»Du gewinnst. Das weiß ich. Ich bin hier, um zu arbeiten. Wir sehen uns später.«
Ich folgte Gnong Duc im Abstand und fotografierte, was es zu fotografieren gab. Der Mönch wusste genau, wohin ihn seine Schale zu führen hatte. Einheimische sprach er nicht an. Die verbeugten sich nur ehrfurchtsvoll und gingen weiter. Er suchte sich Gruppen von amerikanischen GIs.
Die standen mit Bierdosen in der Hand herum und betrachteten gelangweilt das Geschehen. Plauderten und versuchten junge Frauen anzumachen. So, wie man eben als junger Mann in der Stärke der Gruppe versuchte, die Kameraden zu beeindrucken. Blöde Sprüche. Ein Klaps auf den Hintern einer jungen Vietnamesin. Gelächter, wenn es nicht funktionierte. Spott und Hohn der Kumpel. Noch mehr Bier.
Der Mönch steuerte auf die Gruppe zu. Seine Schale in Erwartungshaltung. Er klimperte mit meinen zwanzig Dollar Kleingeld. Er sprach mit den betrunkenen Soldaten. Sie lachten. Einer zerquetschte sein Bierdose. Legte sie in die Schale. Ein zweiter trat nach der Schale. Sie fiel zu Boden. Das Geld regnete in den Staub. Ich fotografierte. Der Mönch bückte sich. Ich lief den Soldaten nach.
»Hallo, Jungs.« Ich rannte auf die Gruppe zu. »Habt ihr gut gemacht.« Warum mir dieser blöde Spruch einfiel, war mehr ein innerer Reflex.
Die Soldaten blieben stehen und taxierten mich misstrauisch.
»Doch ehrlich. Diese Bettler verteidigt ihr mit eurem Leben. Lohnt sich das?«
Der Anführer, ein Sergeant und Wortführer, baute sich vor mir auf.
»Du hast doch keine Fotos davon gemacht?«
»Doch. Habe ich. Für die Washington Post. Die zu Hause wollen doch wissen, wie ihr euch hier als Beschützer durchsetzt.«
Ich hatte keinen trockenen Faden mehr am Leib. Wenn ich die Kraft gehabt hätte, ich hätte mir einen nach dem anderen vorgenommen und ihm die Knochen gebrochen. Aber sie waren zu viele.
»Lass das. Es hat keinen Sinn. Ich habe das Geld ja wieder zusammen.« Gnong Duc legte mir die Hand auf die Schulter. »Es gibt Gewinne und Verluste im Leben. Aber das wirst du auch noch lernen. Du hast dich nur unnötig in Gefahr gebracht. Lass das bitte in Zukunft. Meine Sammlung darf keine Opfer kosten. Sonst wären wir Räuber.«
Die Gruppe der Soldaten entfernte sich laut diskutierend. Einer löste sich aus dem Pulk und kam zurück. Suchte in seinen Taschen und legte einen zerknitterten Zehndollarschein in die Schale. Eilte zu seinen Kumpels zurück.
Der Mönch lächelte.
»Wie du siehst, gibt es in einer Herde von Wilden immer ein Schaf. Du brauchst nur Geduld. So. Nun lass mich weitersammeln. Geh du zum Markt. Wir treffen uns dort.«
Er steckte den Geldschein in seinen Jutesack und klapperte sich mit den Münzen durch die Menschenansammlungen.
Der Mann strahlte eine Ruhe und Gelassenheit aus, die mich verrückt machte. Ich sah, nein, fühlte noch nicht einmal einen Ansatzpunkt, diesen Menschen einzuordnen. Wo er war, war er. Und das war das Selbstverständlichste der Welt. Und trotzdem fiel er nie auf. Er war einfach da.
Der Markt war in dieser Kleinstadt nicht schwer zu finden. Meine Nase leitete mich und die Mopeds, die mir, mit Einkäufen beladen, aus seiner Richtung entgegenknatterten.
Eine Art Wochenmarkt. Chaos pur. Eine Marktordnung schien es nicht zu geben. Hunderte von Bauern und Händler hatten sich mit ihren Ständen ineinander verkeilt oder nutzten einen Stand gemeinsam.
Stand? Was war hier ein Stand? Irgendwelche abenteuerlichen Konstruktionen, die eine Plane hielten. Campingtische aus Armeebeständen, die sich leicht zusammenfalten ließen. Lebende Hühner. Tote Hühner. Lebende Singvögel. Tote Singvögel. Marinierte
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