Sailer und Schatz 01 - Das ist mein Blut
an und blickte nervös über die Straße zur Kirche. »Und sie sind jetzt da drin?«, wollte er wissen.
Katharina nickte. »Sie haben gesagt, dass sie mit meinem Vater sprechen wollen.« Jetzt klang auch ihre Stimme etwas besorgt. Wer konnte schon wissen, was die Polizei alles tun würde?
Der Neuankömmling, Sohn vom Metzgereibesitzer König, biss sich auf die Lippen. Als die Glocke im Kirchturm dreiviertel Stunden schlug, fuhr der Junge sichtbar zusammen.
17
Herwig Römer war auf dem Weg nach Fürth. Von Weißenburg aus war er auf die B2 gefahren, hatte Ellingen links liegen lassen und die Abfahrt zum großen Brombachsee ignoriert – nicht ohne sich vorzunehmen, mit den Kindern demnächst einmal wieder dort zu baden. Während der Fahrt amüsierte er sich über die vielen braunen Ortstafeln, die in den letzten Jahren an der Autobahn ins Kraut geschossen waren. »Ellingen – Perle des Barock«, »Goldschlägerstadt Schwabach« – »Nürnberg.de« fiel ästhetisch und inhaltlich etwas aus dem Rahmen, fand er – und schließlich »Denkmal- und Wissenschaftsstadt Fürth«. Als er vor mittlerweile fünfzehn Jahren sein Vikariat in St. Michael abgeleistet hatte, war die Stadt noch erheblich bescheidener, um nicht zu sagen verschämter gewesen. Allerdings war sie damals auch, wie er zugeben musste, als er am neu gestalteten und renovierten Grünen Markt ausstieg, erheblich hässlicher gewesen. Der Gauklerbrunnen, der weite Platz, die Fassaden der Fachwerk- und Schindelhäuser und die vertraute Silhouette des Kirchturms boten jetzt ein wirklich ansehnliches Ensemble. Es war für Römer beinahe eine Erleichterung festzustellen, dass noch immer ein hässlicher Supermarkt die Ecke des Platzes verschandelte, denn sonst wäre ihm möglicherweise etwas unheimlich zumute geworden in einem Fürth, das nicht länger automatisch Fluchtgedanken auslöste. Durch die Gustavstraße zu kommen, ohne in einer der vielen Kneipen hängen zu bleiben, war selbst an einem Freitagvormittag keine ganz einfache Aufgabe, aber die Tür, die er einige Minuten später öffnete, führte nicht in eine verrauchte Gaststätte, sondern in eine kleine Schmuckwerkstatt. Innen über der Tür hing ein Bild von Bernward von Hildesheim, dem Schutzpatron der Goldschmiede, wie die silberne Plakette darunter verriet. Bernstein glänzte satt und warm in goldenen Fassungen in einem kleinen Seitenfenster. Ansonsten aber herrschten kühlere Formen und Farben vor. Silber in ungewöhnlichen Linien, das scharfgeschliffene Blinken von Brillanten und das wasserklare Leuchten von Aquamarinen. Eine etwa dreißigjährige Frau trat aus der im Nebenraum eingerichteten Werkstatt, als sie das Klingeln der Glocke hörte.
»Herr Römer? Wir haben gleich Zeit für Sie.«
Als sie zurückkam, brachte sie einige Bücher mit, die sie auf den Vitrinentisch in der Mitte des Raumes legte. Gleich darauf trat auch ihr Mann ein, bekleidet mit der Lederschürze, die er bei der Arbeit verwendete.
Pfarrer Römer hätte nicht bis nach Fürth fahren müssen, um einen Goldschmied zu finden, aber das Ehepaar Winter besaß den unschätzbaren Vorteil, dass es sich nicht nur mit Gold und Silber auskannte, sondern auch mit der Geschichte des regionalen Kunsthandwerks. Wenn jemand ihm weiterhelfen konnte, so hoffte er, waren es die beiden.
Er zeigte ihnen die Fotos des Kelches. Horst Winter pfiff leise durch die Zähne. »Schön«, sagte er zuerst nur.
»Gute Arbeit«, meinte seine Frau.
»Können Sie irgendetwas darüber sagen, wann der Kelch entstanden ist?«, wollte Römer wissen. »Ich nehme an, es wäre zu viel verlangt, wenn ich Sie bitte, herauszufinden, wer ihn angefertigt hat …«
Lina Winter lächelte. »Das kommt darauf an. Bei manchen Arbeiten ist das ganz leicht – aber Sie haben Recht, in diesem Fall ist es das wahrscheinlich nicht. Wenn es ein Werk von Fritz Schwerdt wäre zum Beispiel, das wäre machbar.«
Das Gesicht des Pfarrers drückte höfliches Unverständnis aus, deshalb erklärte der Goldschmied: »Das war ein sehr berühmter Goldschmied. Er hat die Fronleichnamskirche in Aachen ausgestattet, und eine seiner Arbeiten ist der sogenannte Kelch mit dem Bergkristallnodus. Der Nodus – also der Knoten – ist die Rundung, die bei manchen Kelchen den Fuß von der Cuppa, den eigentlichen Becher, absetzt. Ich kann Ihnen ein Bild davon heraussuchen, ich bin sicher, dass ich eines in einem dieser Bücher habe …«
»Horst«, mahnte seine Frau, und beide wandten
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