Sakrament der Lust
mit mir zur Tür hinaus. Ohne uns zu berühren, laufen wir mit raschen Schritten zum Gate zurück. Melinda hält bereits ungeduldig nach Julian Ausschau.
«Wir müssen uns beeilen, das Boarding hat schon begonnen!», drängt Melinda und fasst Julian am Arm.
Dieser jedoch öffnet sein Handgepäck, kramt einen Stift und einen Notizblock hervor und schreibt rasch etwas darauf. Dann faltet er den Zettel ein mal und reicht ihn mir. Es prickelt in meinen Fingern, als er mich dabei sanft berührt. Julian sieht mich an und ich weiß, was diese glühenden Augen mir sagen wollen, ohne dass er dafür Worte benötigt. Es fällt mir unendlich schwer, ihn nicht sofort wieder in meine Arme zu schließen. Julian ergreift seinen Koffer und wir marschieren zu dritt zum Ausgang. Julian und Melinda zeigen an der Kontrollstation ihre Tickets und Reisepässe und lassen sich nach Waffen durchsuchen. Julian schaut wehmütig zu mir zurück, als er mit Melinda durch ein weiteres Tor verschwindet. Hinter der gläsernen Wand führt eine Rolltreppe in die Tiefe. Julian schaut mir nach, als er nach unten fährt. Auch Melinda blickt mich an. Ich glaube nicht recht zu sehen - hat Melinda mir tatsächlich die Zunge herausgestreckt, oder war das eine Halluzination? Sicherlich! Ich sehe zu, wie die Rolltreppe mit den beiden in der Tiefe verschwindet. Ich stehe noch eine Weile unruhig da und starre auf die Stelle, wo Julian verschwunden ist.
Ein wildes Gefühlschaos bricht über mich herein – Trauer und Leere, weil Julian fort ist, Eifersucht, weil diese hübsche Melinda mit ihm fliegt, Angst, dass ich ihn vielleicht nie wiedersehe. In meiner Hand halte ich noch immer den Zettel, den Julian mir gegeben hat. Ich öffne ihn zitternd. Darauf steht die Adresse einer Jesuitischen Mission in Brasilien. Ich verstaue den Zettel vorsichtig in meiner Handtasche. Wie in Trance wende ich mich zum Gehen. Ich laufe wie automatisch die Gänge zurück bis zu meinem Auto. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich ja noch das Parkticket bezahlen muss. Also suche ich nach einem Automaten, stopfe ein paar Münzen hinein und kehre dann mit dem Ticket zu meinem Auto zurück.
Malerei
Lisa und Mike sind nicht zu Hause, als ich dort eintreffe. Stattdessen steht etwas unter der Notiz, die ich für Lisa hinterlassen habe:
«Danke fürs Frühstück, Mom! Bin mit Mike im Schwimmbad!»
Ich bin froh, dass es Lisa offensichtlich wieder gut geht. Nur wie ich mit meinem eigenen Gefühlschaos umgehen soll, ist mir schleierhaft. Vielleicht hilft es mir, diese Gefühle einfach auf die Leinwand zu bringen. Ich gehe in mein Wohnatelier und verliere mich mal wieder in Julians Portrait.
Als ich aus meiner Trance erwache, schnappe ich mir eine leere Leinwand und beginne zu malen. Das Bild soll die Liebe zu Julian ausdrücken und ich verwende viele verschiedene Rottöne, die sich ineinander schlingen und an einigen Stellen miteinander verschmelzen. Ich arbeite so lange an dem Werk, bis die Windungen und Farben darin mich beinahe dazu verleiten, das Bild küssen zu wollen. Dann hole ich die nächste Leinwand hervor. Jetzt will ich in die Liebe meine Angst um Julians Verlust mit einbinden. Daher versinken die roten Windungen an einer Ecke in einen dunklen Strudel. Dieses neue Projekt nimmt mich so gefangen, dass ich die nächste Woche damit zubringe, fünfzehn perfekte Gefühlsbilder auf die Leinwände zu zaubern.
Etwa genau eine Woche später erhalte ich unerwarteten Besuch.
«Ach, hallo Herr Zweig! Was führt Sie zu mir?», frage ich verwundert, als der Inhaber des großen Kunstgeschäfts aus der Stadt vor meiner Tür steht. Ich arbeite schon seit vielen Jahren mit ihm zusammen und erledige Arbeiten, die seine Kunden bei ihm in Auftrag geben.
«Ich konnte Sie telefonisch nicht erreichen und da ich einen dringenden Auftrag für Sie habe, dachte ich, ich bringe die Unterlagen gleich mit.»
«Ach so, ja gerne! Kommen Sie doch herein!»
Ich geleite ihn ins Wohnatelier und schenke ihm ein Glas Wasser ein. Er nimmt einen großen Zug und lehnt sich entspannt zurück. Auf dem Couchtisch liegt mein Telefon – mal wieder habe ich vergessen, es aufzuladen und der Akku ist komplett leer. Ich stelle es auf die Ladestation und lasse mich auf einen Sessel nieder. Statt die mitgebrachten Unterlagen auf dem Tisch auszubreiten, starrt Herr Zweig auf eines meiner neuen Gefühlsbilder, die ich aus Platzmangel nun auch an die Wand außerhalb meines Malbereiches gehängt habe.
«Ist das eines Ihrer
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