Sakrament der Lust
Bilder, Frau Herbst?», fragt er verblüfft.
«Ja, warum?», antworte ich verwundert über sein Interesse.
«Das ist fantastisch! Sie wissen, dass ich Ihre Auftragsarbeiten immer sehr geschätzt habe, aber bisher fehlte Ihren abstrakten Kunstwerken das Besondere, der gefühlvolle Ausdruck. Ganz anders als bei dieser Arbeit! Haben sie noch mehr davon?»
Ich schwebe schier über dem Boden bei seinen Worten. Zum ersten mal ist jemand von meinen abstrakten Werken begeistert! Ich zeige Herrn Zweig alle fünfzehn Bilder. Er begutachtet jedes meiner Werke mit zunehmender Begeisterung. Selbst das Portrait von Julian lobt er für seine Lebendigkeit.
«Sie haben eine unglaubliche künstlerische Entwicklung durchlebt, Frau Herbst! Ich bin ehrlich beeindruckt!»
«Hm, danke!», antworte ich verlegen.
«Ist das der Mann, der sie zu diesem Ausbruch der Leidenschaft in Ihren Bildern inspiriert hat?», fragt er und deutet auf Julians Portrait.
Ich kämpfe gegen das Blut, das sich siedend heiß in meinen Wangen sammelt und verliere die Schlacht. Herr Zweig grinst über die Radieschenröte in meinem Gesicht.
«Ähm, ja!», gestehe ich beschämt.
«Aber mal ernsthaft, Frau Herbst, mit diesen Bildern haben Sie den Grundstein zu einem wirklich erfolgreichen Durchbruch geschaffen. Wenn wir uns über die finanziellen Konditionen einig werden, organisiere ich eine Vernissage für Sie!»
Das kann nicht wahr sein! Seit Jahren träume ich von so einer Chance und dann kommt dieser Herr Zweig an und unterbreitet mir dieses unglaubliche Angebot. Ich könnte in die Luft springen vor Freude. Aber ich muss jetzt einen kühlen Kopf bewahren. Die Konditionen müssen noch geklärt werden und nur weil Herrn Zweig die Bilder gefallen, heißt das noch nicht, dass die restliche Welt ebenso positiv darauf reagiert. Herr Zweig ist zwar ein harter Geschäftsmann, aber ich weiß, dass er mich nicht übers Ohr hauen wird.
Über die Konditionen werden wir uns rasch einig, dann besprechen wir Ablauf und Gestaltung der Vernissage. Erst kurz bevor sich Herr Zweig zum Gehen wendet, fällt ihm wieder der Kundenauftrag ein: Die Reproduktion eines Seerosenteiches von Monet. Damit werde ich etwa eine Woche beschäftigt sein. Die Vernissage soll in vier Wochen stattfinden. Bis dahin muss alles perfekt geplant und organisiert sein. Gut, dass das alles Herr Zweig übernimmt, denn mit dem Chaos in meinem Kopf wäre ich dazu nicht fähig.
Natürlich muss ich die Neuigkeit gleich allen erzählen und wie erwartet freuen sich Lisa und Jasmin mit mir. Ich schreibe auch einen Brief an Julian – eine Emailadresse oder Telefonnummer von ihm habe ich nicht. Wahrscheinlich hat das Zeitalter des Internets das kleine Dorf mit der Mission am Rande des Regenwaldes noch nicht erreicht. Ich habe im Netz nach der nächst größeren Stadt gesucht, die als Teil der Postadresse mit angegeben wurde, daher weiß ich, wo das Dorf ungefähr auf der Landkarte zu finden ist. Ich schreibe:
'Lieber Julian,
es vergeht kein Tag, an dem ich nicht Dein Bild betrachte und sehnsüchtig an Dich denke. Ich hoffe, Dir geht es gut in der Mission. Da ich noch nie weiter weggeflogen bin, beschränkt sich meine Vorstellung von anderen Ländern auf das Wissen aus Büchern und Filmen. Wie ist es dort wirklich und welche Aufgaben hast du?
Ich habe auch eine wundervolle Neuigkeit: Ich werde fünfzehn Bilder in einer großen Vernissage präsentieren und bin schon unglaublich aufgeregt deswegen.
Ich hoffe, bald etwas von Dir zu lesen.
Tausend heiße Küsse
Jana
Ps. Ich hoffe, die hübsche Melinda macht Dir nicht allzu schöne Augen.'
Fast am selben Tag finde ich einen Brief aus Brasilien in meinem Briefkasten. Am Poststempel erkenne ich, dass er eine ganze Woche unterwegs war. Meine Hände zittern, als ich den Brief vorsichtig öffne. Ich ziehe ein gelbliches Blatt heraus, falte es auseinander und beginne zu lesen:
'Liebe Jana,
ich bin kaum hier angekommen, da quält mich bereits schreckliches Heimweh und vor allem die Sehnsucht nach einer Frau. Sie malt unglaublich lebendige Bilder und ihre Nähe bringt mein Herz zum Flattern.
Ich werde sicherlich noch lange brauchen, um mich an die ärmlichen Umstände und das viele Elend zu gewöhnen, mit dem ich hier jeden Tag umgehen muss. Ich bin sicherlich nicht luxusverwöhnt, aber unsere Mission wird mehr in der Entwicklungshilfe als für seelsorgerische Belange benötigt. Zunehmende Sektenbildung, Armut, Krankheiten, schlechte Hygiene, Kriminalität und
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