Sakramentisch (German Edition)
des ganzen
Weihnachtsgeschäfts, das konnte er jetzt schon abschätzen.
»Los! Wird’s bald! Sonst knallt’s! Dann kannst du deine Dirndl und
deine Joppen von der Wand abkratzen.«
Wieder der Hall aus dem hohlen Baumstamm. Gepflegtes Bayerisch.
Licht ging an. Die Rollläden fuhren runter. Der Zweite, etwas
größere, machte sich an den Abrollgurten zu schaffen. Wast musterte ihn etwas
länger. Auf der linken Pausbacke zeichnete sich ein kleiner schwarzer Fleck ab,
der an einen Pickel erinnerte. Ein Geschenksack hing aus Pickels linker Hand
schlapp zu Boden.
Mehr zufällig streifte der Gachinger Wast mit einem flüchtigen Blick
den Kunden, der vorhin, etwas versteckt an der Stufe zum zweiten Geschäftsraum,
einen Schal nach dem anderen umgedreht und ins Licht gehalten hatte. Er suche
einen Schal für seine Frau, hatte er gesagt. Nun hatte er sich so hingestellt,
dass er im Ankleidespiegel das Geschehen beobachten konnte. Er war um die
sechzig, krümmte sich, als ob er ein Rückenleiden hätte, und zwickte die Augen
unter schweren Lidern zusammen. Er sah aus wie der frühe Leo Kirch.
»Bitte, meine Damen, bewegen Sie Ihre hübschen Hintern! Und geben
Sie mir Ihre Handys. Freiwillig, wenn ich bitten darf.« Pickel trieb – anders
konnte man es nicht nennen – die vier Kundinnen in den halb offen stehenden
Werkstattraum.
Granate ging langsam rückwärts, behielt den Wast mit seiner Kasse
aber im Blickfeld. Er langte nach hinten und übernahm den Geschenksack von
seinem Kollegen.
Wasti versuchte, sich den Stimmfall einzuprägen. Der Mann mit dem
Pickel im Gummigesicht sprach wie durch ein eingebautes Saxofon. Künstlich
irgendwie. Und langsam. So wie Christian Ude, der Münchener OB, bei einer Rede
vom Rathausbalkon.
Zwei gaben ihre Handys ab, den anderen glaubte der Räuber
offensichtlich, dass sie keines besaßen. In diesem Landstrich war es nicht
ungewöhnlich, dass man seine Ruhe haben und nicht durch ständiges Piepsen,
Klingeln oder Quietschen aufgeschreckt werden wollte. Außerdem wirkte Pickel
nicht so, als wolle er den Damen an die Wäsche.
»Geld her!« Der Granatenmann wurde ungeduldig. »Bitte!«
Die Bitte klang wie ein Schuss.
Er fuchtelte mit der Ananas herum und rüttelte mit der freien Hand
an der Registrierkasse. Da war so viel Geld drin, dass die Schublade sich nach
unten ausbeulte, das wusste der Wast.
Auch Granate ahnte es. Mit einem Ruck zog er den Splint aus der
Sicherung. »Sie waren Pionier. Sie wissen, was das bedeutet. Also los. Machen
Sie auf!« Er hielt Wast den Sack hin.
»Seid ruhig!«, herrschte hinter ihm Pickel die Frauen an. »Kein
Geschrei, keine Hilferufe, keinen Mucks.« Mit dem Kinn wies er noch einmal zu
dem olivfarbenen, sympathisch gerippten Ding seines Kumpels hin.
»Huch!«, kreischte eine Frau und drängte vorwärts.
»Sonst knallt’s.« Vorsichtig, als fürchte er, zu laut zu sein,
schloss Pickel die Tür hinter den Kundinnen und zog den Schlüssel ab.
Er schien von beiden der Wortführer zu sein. Den Kunden um die Ecke
hatten sie noch nicht bemerkt, frohlockte der Wast. Ein kleiner
Hoffungsschimmer flammte auf.
»Haaaa-tschi! Haaaa…«
Ein Anfall wie die Schwindsucht persönlich. Der Leo-Kirch-Verschnitt
nieste und hustete gotterbärmlich. Die Menge an Viren, Bakterien, Bazillen und
anderen kleinen Tierchen, die er ausstieß, hätte gereicht, das ganze Dorf
auszurotten.
»Oha!« Mit drei langen Schritten stand Pickel neben ihm. Er griff in
seinen Sack. »Hände auf den Rücken!«
Die gleiche Stimme!
Pickel hatte die gleiche Stimme, den gleichen Tonfall wie Granate,
der vor ihm stand. Das war jedoch das Letzte, was der Wast mitbekam.
Granate stand ihm auf den Füßen. »Wird’s bald! Lade auf! Geld in den
Sack! Alles!«
Genau! Dieselbe Stimme. Wie Max Raabe ohne Palast Orchester.
Im Augenwinkel, während er das Tastfeld zum Öffnen der Lade
berührte, bekam er mit, wie hinter seinem Rücken Handschellen klickten. Dann
verschwanden Pickel und Leo Kirch hinter dem Kleiderständer mit den
Rüschenhemden und Leinenbeinkleidern.
Die Schublade fuhr auf. Der Wast kriegte einen Schreck. So viel
Knete!
Joschi unterm Ladentisch begann beifällig zu knurren.
»Her damit! In den Sack damit!« Granate hielt den Sicherungsbügel in
der Handfläche. Den Stift hatte er in die Tasche seiner Kutte gesteckt.
Der Gachinger Wast fühlte sich so beschwingt wie die junge Witwe bei
der Beerdigung ihres Alten. Er schwankte zwischen Trauer, Furcht und Hoffnung.
Trauer
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