Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sakramentisch (German Edition)

Sakramentisch (German Edition)

Titel: Sakramentisch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannsdieter Loy
Vom Netzwerk:
maskiert, ey? Ganz schön
originell.« Er lachte laut und schob den Glimmstängel in den anderen
Mundwinkel.
    »Und ich hab am Mittag noch mit dem Gachinger telefoniert. Ich hab’s
schließlich eilig. Ich komm wegen der Lieferung extra rüber und …«
    »Schon gut, schon gut«, sagte Artur Josef und machte einen Schritt
auf den anderen zu. »Ich hab den Schlüssel für den Lagerraum. Stell die Sachen
raus, ich räum sie schon ein.« Dabei deutete er mit dem Daumen hinter sich.
»Ich steh eh nur dumm rum und hab nix weiter zu tun.«
    Wer wäre vertrauenswürdiger als der Weihnachtsmann? Ein Grinsen flog
über das Gesicht des UPS -lers.
    »Okay, Kumpel, danke. Ich werd schließlich im Akkord bezahlt. Alles
Gute weiterhin zu Weihnachten. Und viele schöne Geschenke.«
    Er wuchtete drei Pakete vor den schwarzen Nikolausstiefeln auf den
Asphalt, ließ sich eine flüchtige Unterschrift geben, legte Zeige- und
Mittelfinger an den Mützenrand und verschwand schneeaufwirbelnd am nahen
Horizont.
    In einer so unerfreulichen Situation hatte sich Josef Ottakring
noch nie befunden. Er hatte Mörder in München und im Rosenheimer Land gejagt,
Serientäter hinter Schloss und Riegel gebracht, Rivalen vertrieben, sich mit
Frauen beschäftigt. Doch noch nie war er aus einer sanften Ohnmacht erwacht und
hatte sich mit vier fremden Frauen in einem Raum wiedergefunden, der nicht viel
größer als ein Hasenstall war. Noch dazu in Handschellen und mit einem
Sprengstoffgürtel um den Leib.
    »Wenn Sie den abnehmen oder auch nur lockern wollen, explodiert er«,
hatte der Weihnachtsmann mit gleichbleibend freundlicher Miene zu ihm gesagt.
»Ich kann ihn jederzeit aus der Entfernung entschärfen oder zünden. Was dann
passiert, können Sie sich vorstellen. Also bleiben Sie brav, mein Herr!«
    Gott sei Dank konnten die vier Frauen um ihn herum ihre Panik in der
engen Kammer nicht voll ausleben. Sie wussten nicht, was sie tun sollten, und
das auch noch schnell. Ottakring hatte zwar Angst, dass sich durch die zehn
Minuten schrillen Kreischens der Sprengstoff entzünden könnte. Doch das Zeug
erwies sich als lärmresistent.
    Wer jemals einen scharfen Sprengstoffgürtel um den Bauch hatte,
weiß, was das bedeutet. Es ist wie die Sekunde, bevor das Beil auf dem Schafott
fällt. Bevor sich die Giftspritze in die Adern senkt. Die Ewigkeit vor dem
sicheren Tod. Die Angst des Torwarts vorm Elfmeter.
    Ottakring war zwar bekannt, dass sich der Sprengstoffgürtel in
bestimmten Kreisen als wichtigstes Navigationsmittel zum sicheren Tod etabliert
hatte. Doch das war im Orient, und der war weit weg. Dass er einmal eingesetzt
wurde, um ein einfaches Trachtenladerl in einem einsamen Ort zu überfallen, das
hatte es noch nie gegeben. Gleichzeitig ärgerte er sich wieder einmal, kein
Handy zu besitzen, selbst wenn man’s ihm wohl eh abgenommen hätte.
    Lola fehlte ihm. Genau in diesem Moment, als ihm das Wasser bis zum
Hals stand, musste Ottakring intensiv an seine Frau denken. Wegen ihr war er
hierhergekommen. Einen Schal hatte er für sie kaufen wollen, er hatte sich
schon für ein elegant-buntes Sondermodell entschieden – mit der Hand gewebt in
Wien oder Budapest oder auf der Insel Krim, er wusste es nicht mehr –, nur
deshalb war er überhaupt hier. Ihr deshalb die Schuld an seinem Schicksal in
die Schuhe zu schieben wäre bestimmt nicht richtig. Andererseits … nein …
    Er schüttelte die Gedanken von sich und nickte einer Leidensgenossin
– um die vierzig, groß, breit, lange erdfarbene Mähne – zu. Wie hätte er sich
sonst mit den gefesselten Händen auf dem Rücken bemerkbar machen sollen?
    »Würden Sie bitte mal nachsehen, ob an dem Gürtel irgendwo ein Knopf
ist? Oder ein Schalter? Aber nicht hinlangen! Nicht anfassen, um Gottes
willen!«
    Die Frau beugte sich hinunter. Da sie kurzsichtig war und das
Kammerl so eng, sah es aus, als wäre sie von der Gewerbeaufsicht, Abteilung
Geruchsprüfung, oder als suchte sie entweder kleine Tiere zwischen Ottakrings
Beinen oder wollte ihm sonst wie an die Wäsche.
    Der Maskierte hatte ihn Jacke und Hemd ausziehen lassen, bevor er
ihm den Gürtel auf der nackten Haut umlegte. Es war eine Art Nierenschützer,
wie man ihn auf dem Motorrad benutzt. Keine Taschen mit Dynamit- oder anderen
Stangen erkennbar. Keine weiteren Ausbeulungen. Alles glatt. Ottakring tippte
auf Flüssigkeitssprengstoff. Ein Nierenschützer als Kühlmittel.
    »Kein Schalter, kein Knopf«, sagte die Frau und hob den Kopf wieder
aus

Weitere Kostenlose Bücher