Salai und Leonardo da Vinci 01 - Die Zweifel des Salai
gemacht, der Palazzo sei ein Wahlgeschenk des Papstes für Kardinal Sforza gewesen (vgl. De Roo, Bd. II, 11. Kap. S. 356).
Die Stärke von De Roos Buch liegt in der systematischen Untersuchung sämtlicher Details aus dem Leben von Rodrigo Borgia, von der Wiege bis an die Schwelle zur Papstherrschaft und darüber hinaus bis zu seinem unerwarteten, mysteriösen Tod. Gestützt auf Hunderte gedruckter und handschriftlicher Quellen wird jener Mythos gründlich entzaubert, nach dem der Papst seine politischen Gegner regelmäßig vergiftet haben soll (wenn es Kardinäle waren, um sich ihrer Reichtümer zu bemächtigen), eine unglaubliche Anzahl Konkubinen hatte, darunter auch Prostituierte, und eine große Schar unehelicher Kinder zeugte. Lucrezia soll Alexander VI. sogar einen Sohn und Enkel geboren haben. Außerdem wird Rodrigo Borgia böswillig unterstellt, er habe geheime Absprachen mit den Türken getroffen, sich den Papstthron durch Bestechung der Kardinäle gekauft, er sei als Politiker treulos und verlogen gewesen und habe seine eigenen Verbündeten verraten, indem er die Franzosen unter Karl VIII. aufforderte, Italien zu erobern. Er soll sich weltlichen Vergnügungen wie Tänzen, Bällen und Orgien hingegeben haben, und in diesen Zusammenhang gehört die lächerlich unglaubwürdige Geschichte, nach der er Dutzende von Prostituierten in den vatikanischen Palast holte, die seine Festgäste unterhalten sollten, indem sie nicht nur großzügig ihre Körper zur Verfügung stellten, sondern auch einen Wettkampf veranstalteten, bei dem es darum ging, auf dem Boden verstreute Kastanien mit der Vagina einzusammeln; all das unter dem herzlichen Gelächter des Papstes. Weiterhin soll er seinem Sohn Cesare, der des Mordes an seinem Bruder Juan angeklagt wurde (noch eine Verleumdung, die nie bewiesen wurde), einen Ablass gewährt haben. Zuletzt soll Alexander VI. während eines Banketts vergiftet worden sein, bei dem die vergiftete Speise, die er und Cesare ihren mit am Tisch sitzenden Feinden zugedacht hatten, irrtümlich dem Papst selbst und dem Valentino serviert wurde (der nach langer Krankheit wie durch ein Wunder genas).
Zu Recht weist De Roo darauf hin, dass alle Anschuldigungen der Unsittlichkeit sich auf die Zeit beziehen, in der Rodrigo Borgia bereits Papst war. In den sechsunddreißig Jahren seiner Tätigkeit als Kardinal Vizekanzler (das zweithöchste Amt nach dem Papst) gibt es unglaublicherweise niemanden – auch unter seinen Feinden nicht –, der von Geliebten und unehelichen Kindern des zukünftigen Papstes Alexander VI. berichtet. Sogar ein gefälschter Brief Papst Pius’ II., der nur dazu dient, den Borgia zu diffamieren (vgl. weiter unten im Kapitel «Die Methoden Pastors»), wagt nicht, so weit zu gehen.
Wie die Botschafter der italienischen Fürstentümer und Raffaele Maffei da Volterra (1451-1522) in seinem Commentariorum Urbanorum berichten, wurde an Rodrigos Tafel sogar nur ein Gang serviert, sodass Cesare Borgia und die andren Kardinäle nicht gern zum Essen bei ihm blieben, weil sie nicht hungrig vom Tisch aufstehen wollten. Die fünf Päpste, unter denen er als Vizekanzler tätig war, suchten seinen Rat, vertrauten ihm die wichtigsten Missionen an, beauftragten ihn, in ihrem Namen mit den Mächtigen der Erde zu verhandeln, und ließen sich auf all ihren Reisen von ihm begleiten. So zum Beispiel Pius II., als er zu einem Kreuzzug aufbrach. Diese Episode ist besonders aufschlussreich für die Böswilligkeit, mit der die Geschichtsschreibung das Leben Rodrigo Borgias geschildert hat. Pius II. war im Begriff, sich in Ancona einzuschiffen, um die Türken in Konstantinopel zu bekämpfen, als eine Pestepidemie ausbrach. Die Stadt quoll über von den Kreuzrittern des Papstes, ihre Zahl übertraf die der Einwohner um das Zwanzigfache. Sogar der Papst war in einem winzigen Häuschen einquartiert worden, und die Kardinäle mussten sich damit abfinden, dicht gedrängt zu mehreren in wenigen Zimmern zu schlafen. Viele erkrankten an der Pest, auch der Papst, der leider daran starb, und Rodrigo Borgia, der über Schmerzen in den Drüsen klagte und dessen Gesundheitszustand sich zusehends verschlechterte. Der Arzt glaubte ihn nicht mehr heilen zu können, weil Rodrigo «nicht allein geschlafen hatte» (« non solus in ledo dormiverat »), und wegen des fortwährenden Kontakts mit den anderen erkrankten Kardinälen schien es unmöglich, der Ansteckungsgefahr zu entgehen. In der blühenden Anekdotendichtung um
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