Salomes siebter Schleier (German Edition)
vorsetzen.
Nachdem sie ihn abgewiesen hatte, fielen seine Auftritte noch ein paar Takte melancholischer aus. Texte wie «Ehe ich in die Schlacht ziehe, gestatte mir, meine tränenfeuchten Augen an deinem bestickten Armel zu trocknen» brauchten nicht ins Englische übersetzt zu werden, um ihre lähmende Wirkung zu tun. Schließlich setzten Abu und Spike ihn vor die Tür.
Im April waren sie kurz davor, auch die Band zu feuern, als der zahnlose Kauz ihnen mitteilte, dass sie nächsten Freitag von einer «höchst sehr wunderschönen» Bauchtänzerin begleitet würden, die «höchst sehr ausgezeichnet» Tamburin spielte.
Während Spike den alten Musiker erregt fragte, ob die Frau beschuht oder barfüßig tanzen würde, erzählte Abu, ebenfalls zufrieden, wenn auch sehr viel gelassener, Ellen Cherry, dass während einer von Mohammed erzwungenen Periode musikalischer Inaktivität im siebten Jahrhundert nur das
ghirbal
und das Tamburin erlaubt gewesen waren, Letzteres ohne Glöckchen. «Das hat die neue Religion der arabischen Kultur angetan», sagte Abu. «Am Schlagen hielt sie fest, aber das Klingeln hat sie verboten.»
«Wir Baptisten haben das ja auch verlernt», gestand Ellen Cherry. «Außer mit dem Klingelbeutel.»
I & I
Es ist der dritte Freitag im April. Der Frühling rekelt sich über New York wie eine Odaliske auf einem Haremsdiwan. Wie ein Aids-Baby auf einem Sofa in Harlem. Ein riesiger Mond geht auf. Wie die Odaliske scheint auch der Mond von Süßigkeiten und Sperma überzuquellen, doch der Dunstschleier, durch den er aufsteigt, ist dünn und schleimverschmiert und lässt auf offene, mit ziemlicher Sicherheit bösartige Schwären blicken. Überall schmiegt sich Weiches an Hartes. Das Harte zuckt die Achseln, sagt: «Na und?», kassiert einen Haufen schmutzige Dollars und jagt sich überdimensionale Nadeln in die Vene. Zarte grüne Blättchen entfalten sich zu Tausenden an rußstarrenden Ästen. Der diabolisch beißende Gestank von Autoabgasen hebt sich scharf gegen das Chlorophyll ab. Beim Atmen dringt eine betörende Giftschwade ins eine und das sirupartige Aroma pflanzlichen Lebens ins andere Nasenloch. In der Mischung von Mondschein und Straßenlaternen, von Neon und Blattglanz sind die Wolkenkratzer so betörend wie eine Prozession hinduistischer Heiliger. Energiesprühend, flimmernd und funkelnd vor Licht scheinen sie ebenso vor Lebenskraft zu strotzen wie die Ahornbäume im Park.
Die erwartungsvollen Massen, die aus Wohnungen und Häusern, aus Boutiquen und Bodegas strömen, haben ein neues Tempo gefunden, eine Gangart irgendwo zwischen der aufziehpuppenhaften Winterhektik und dem trägen Tiefseetaucher-Schleppgang des bevorstehenden schwülen Sommers. Sie tänzeln beinahe über Hamburger-Kartons aus Styropor, leere Kondompackungen, Einwegspritzen und graffitispeiende Sprühdosen; ein unbewusster Frühlingsrhythmus macht sich in ihren Schritten bemerkbar, eine vergessene Erinnerung an Gras und Saatgut, an Lämmer und Ringelreihen. Die unvollendete und nie zu vollendende Symphonie, zu der sie sich bewegen, ist aus lautsprecherverstärktem Salsa, Rap und Funk komponiert, aus Fetzen von Vivaldi, die knisternd wie Silberpapier aus feinen Restaurants und Limousinen wehen, aus dem raffinierten Tappen von Cole Porters imaginärer Zigarettenspitze auf dem Rückgrat von Touristen und Geschäftsleuten in Hotelhallen in ganz Midtown, aus prophetischem Technobeat in SoHo-Bars und Künstlerlofts, aus Schlagzeugsolos von genialen Straßenmusikern auf Plastikeimern und Kühlschrankeinsätzen, aus dem Nachrichtenton androgyner Moderatorinnen und Moderatoren, aus dem lauten Kreischen von Bus- und Lastwagenbremsen, aus endlosem Sirenengeheul, Taxigehupe, dem einen oder anderen Schuss oder Schrei, aus mädchenhaftem Gekicher und jungenhafter Protzerei, aus Hundegebell, dem Winseln aggressiver Bettler, dem Heulen obdachloser Verrückter und, an so mancher Straßenecke, den glattzüngigen Ermahnungen geweihter oder selbsternannter Wanderprediger, die den Passanten warnen, dies könne der letzte April sein, den Gott ihm schenke – als sei der April ein Kätzchen und Gott ein wütender Farmer mit einem Sack.
Im Juli wird die Luft in New York mit Anabolika vollgepumpt sein: Tierische Bizepse werden einem beim Atmen die Lungen quetschen und die Wangen besonders Empfindlicher zerkratzen wie ein Dreitagebart. An diesem Abend im April jedoch ist die Atmosphäre unbeschreiblich weiblich. Der Smog trägt Spitzen, die
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