Salomes siebter Schleier (German Edition)
Sieben, die mit ausgestrecktem rechtem Arm dastand, aufrecht wie ein Schülerlotse vor einem Zebrastreifen, aber sie brachte kein klares Bild von der Zahl zu ihrer Linken zustande. Die Fünf sah irgendwie nicht richtig aus, wie sie sich da auf ihrem Brontosaurusschwanz wiegte, und die wasserköpfige Neun erst recht nicht.
«Siebzig und soundso A. D. Wissen Sie, was A.D. bedeutet?»
«Na klar», sagte ein Baumwollslip. «Das ist doch so was Ähnliches wie der Strom, der den Meister vibrieren lässt, wenn er auf Batterie läuft.»
«
Alle
Vibratoren laufen auf Batterie», berichtigte ein etwas älteres Höschen, bläulich bleich wie Mondschein auf Schnee. «Glaubst du etwa, eine Dame würde was ficken wollen, das in der Wand steckt?»
Gekicher ertönte in der Schublade wie Vogelgezwitscher in einer Hecke. Spoon zuckte zusammen, räusperte sich dann und beschloss, fortzufahren. «Nachdem Jerusalem im Jahre siebzig und soundso zerstört worden war, landeten Painted Stick und Conch Shell wieder bei den Phöniziern. Dort gab es mächtige Priesterinnen, die angeblich die Zukunft vorhersagen konnten. Damals war Phönizien Teil des Römischen Reiches, die römische Provinz Syria. Seine wirtschaftliche Blüte war ungebrochen, doch die Priesterinnen überzeugten viele Menschen davon, dass ihre Kultur und Religion zum Untergang verurteilt waren. Was sich als richtig erwies. Dank ihrer Prophezeiungen begannen sie Maßnahmen zu ergreifen, um zu überleben, oder besser gesagt, um später wieder auftauchen zu können.»
«Wenn Leute von (Maßnahmen) sprechen, muss ich immer ans Maßnehmen denken», piepste eine süße junge Stimme aus dem Wäschestapel. «Achtzig Zentimeter. Hundert Zentimeter.»
«Wie Liz Taylors Hüften, meinst du?»
Wieder ertönte Gekicher in der Schublade. Spoon wandte sich hilfesuchend an den Vibrator, der zwar Mitgefühl, aber wenig Hilfe zu bieten hatte. «Wenn der Fisch nach dem Köder giert, ist er bald im Netz. Du brauchst nur den Mund zu öffnen, und schon bist du verloren.»
Spoon beschloss, es kurz zu machen. «Eine Priesterin brachte Conch Shell und Painted Stick an Bord eines großen Schiffes. Sie überquerten den Atlantik und segelten so weit sie konnten das verzweigte Netz des St.-Lawrence-Stromes hinauf. Dann trug man sie tiefer und tiefer ins Landesinnere, bis die Priesterin das richtige Versteck gefunden hatte. Es war eine kleine Höhle. In der Höhle befand sich eine Nische, und darin versteckte die Priesterin den Stock und die Muschel, aber vorher rieb sie die beiden auf eine besondere Art, was sie in Trance versetzte. So wurden sie programmiert, erst aufzuwachen, wenn sie eine ganz bestimmte, vertraute Energie spürten. Das sollte das Signal sein, dass die Ära Roms beendet und die Erde wieder bei Sinnen war. Ich gebe zu, das hört sich schrecklich heidnisch an, aber so hat man es mir erklärt.»
«Ach so», sagte Daruma, der Oh-Macher.
I & I
Monate früher, lange bevor Boomer seinen lahmen Fuß durch eines der sieben mystischen Tore von Jerusalem setzte, hatte Ellen Cherry ihren Ehering vom linken Ringfinger abgezogen und ihn an den rechten gesteckt, ein Zeichen, dass sie verwitwet oder geschieden war, obgleich rein technisch keines von beidem zutraf. Jedes Mal wenn die Wäscheschublade geöffnet wurde, ergoss sich eine Flut von Lampen- oder Sonnenlicht in das Innere, dann folgte ein kräftiger Stoß kohlenwasserstoffbelasteter New Yorker Luft, und schließlich kam Ellen Cherrys rechte Hand, leicht zu erkennen an ihren flammenden Jezabel-Nägeln (lang und scharf wie die schmiedeeisernen Spitzen um einen Botschaftszaun) und dem schlichten Goldreif.
Jedes Mal wenn die Hand in die Schublade tauchte, hoffte Spoon inständig, sie möge nach ihr greifen. Doch morgens erwählte die Hand stets ein Höschen (Ellen Cherry besaß nur wenige BHs, denn ihre Rundungen waren zu klein für jede Art von Harnisch), und abends griff sie, immer ein wenig zögernd, nach Daruma. Tja.
Doch eines Nachmittags im späten Februar, als sie wegen einer saftigen Erkältung nicht zur Arbeit gegangen war, nahm Ellen Cherry dann doch den Löffel aus der Schublade. Was für ein hoffnungsvoller Augenblick für das auf Abwege geratene Essutensil! Am Ende aber war es Ellen Cherry, die von der Begegnung profitierte.
Sie legte den Löffel aufs Bett und putzte sich erst einmal die Nase. Dann nahm sie ihn wieder zur Hand und untersuchte ihn, als erhoffte sie sich einen zuvor übersehenen Hinweis, der sein
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