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Salomes siebter Schleier (German Edition)

Salomes siebter Schleier (German Edition)

Titel: Salomes siebter Schleier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Robbins
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unheimliches Wiederauftauchen doch noch irgendwie erklären würde. Als dabei nichts herauskam, hielt Ellen Cherry sich das schicke kleine Objekt ganz dicht vor die Nase und begann das alte Augenspiel. Sie hatte es, wie Patsy sagen würde, «seit Urzeiten» nicht mehr gespielt, fand jedoch rasch wieder hinein, möglicherweise unterstützt von den triefenden Tränen, mit denen ihr Kopf etwaige feindliche Bakterien fortspülte.
    Die verzierten Ränder des Löffelgriffs begannen zu beben wie eine Muschelschale aus Seidenpapier, sich schneckenförmig zu winden wie Reste einer Bouillabaisse à la Botticelli, eine salzige, schnörkelige Brühe, aus der sich die emanzipierten Seelen sterbender Meeresschnecken lösten und in der Gischt mit fliegenden Nymphenlocken verschmolzen. Die Höhlung des Löffels verflachte, verbreiterte und verengte sich vor ihren Augen, bis sie einer geisterhaft verhüllten Achselhöhle ähnelte und sich der silbrige Schimmer auf ihrer Oberfläche als glühender Energiewirbel manifestierte. Je tiefer Ellen Cherrys Blick eindrang, desto schneller schwand oder brach diese Energie zusammen, und gerade deshalb wurde es umso notwendiger, dass sie noch tiefer eindrang, um der völligen Auflösung zuvorzukommen, sie gleichsam hinter sich zu lassen. Mit so etwas wie dem visuellen Äquivalent zu einem Sprinter, der über die Ziellinie hechtet, verschaffte sie sich schließlich einen Vorsprung vor der endgültigen Dissipation und fand sich in einem zeitlosen, langgestreckten Gang wieder, für den ihr keine andere Bezeichnung als «Information» einfiel.
    Einen schwindelerregenden Augenblick lang hatte sie das Gefühl, sich an der Schnittstelle zwischen sichtbarer und unsichtbarer Welt aufzuhalten, Ganzheit zu betrachten, einen endgültigen Zustand, in dem alle denkbaren Formen und Bewegungen angelegt, aber durch ein physisches oder metaphysisches Gesetz vor dem Prozess der Selektion oder Vetternwirtschaft geschützt waren, der sie zweifellos kompromittiert hätte.
    Das Gefühl war nur von kurzer Dauer, doch solange es anhielt, meinte Ellen Cherry etwas Glitschiges am Schwanz gepackt zu haben. Etwas Glitschiges und sicherlich Bedeutendes. Sie konnte es nicht recht identifizieren. Mit Sicherheit konnte sie es nicht analysieren. Instinktiv erkannte sie, dass eine Analyse es auf der Stelle zunichtegemacht hätte. Es schien eine Art Verzückung zu sein, eine Substanz der Verzückung, die in allen Dingen anzutreffen war, wenn man sie nur in einem bestimmten Licht betrachtete. Auf einer rationalen Ebene ergab das etwa so viel Sinn wie ein Kartenspiel mit lauter Assen, und doch durchströmte Ellen Cherry vorübergehend ein so intensives Glücksgefühl, dass die Erinnerung daran sie monatelang aufmunterte und jeden Gedanken an Rückzug oder Kapitulation verscheuchte.
    Der Augenblick selbst war jedoch vergangen. Sie hatte sich erneut die Nase putzen und einen Löffel Hustensaft schlucken müssen. Sie dachte daran, den Löffel für die Medizin zu benutzen, entschied sich aber dagegen. Dann fokussierte sie wieder normal, zog die Schublade auf und legte eine unendlich enttäuschte Spoon zwischen ihre unwürdigen Gefährten; «unwürdig» nicht, weil es ihnen an der geheimnisvollen Substanz gefehlt hätte, sondern weil sie so ungebildet waren, dass sie Phönizien für eine Stadt an der Adria hielten, in der die Leute in altmodischen Gondeln durch Kanäle fuhren, statt wie alle Welt Autos und Schnellstraßen zu benutzen.
     
    Binnen einer Woche hatte ihr Immunsystem die Erkältung weggeputzt, und Ellen Cherry kehrte ins I & I zurück. Dort hatte inzwischen eine Veränderung stattgefunden. Da es an den Wochenenden immer weniger Sportübertragungen im Fernsehen gab (und das waren die Abende, an denen die Angestellten der UN wie arbeitende Menschen überall auf der Welt am liebsten ausgingen), beschlossen Spike und Abu, mit Live-Musik an der Bar zu experimentieren. Sie begaben sich mit einem Bündel Banknoten zur Stadtverwaltung, schmierten rechts und links ausgestreckte Handflächen und besorgten sich eine Kabarett-Lizenz. Dann ließen sie vorspielen.
    Nachdem sie jeden Stein im New Yorker Ethnosound-Untergrund umgedreht hatten, fanden sie schließlich einen jungen Jemeniten, der imstande und willens war, nicht nur arabische, sondern auch israelische Volkslieder zu singen. Barhäuptig und in babyblauer Smokingjacke, um unparteiisch zu erscheinen, trat der Bursche von nun an sonntags abends auf, begleitet von seinem

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